Das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz hat mit Urteil vom 12. Juni 2019 die Volkswagen AG zum Schadensersatz verurteilt. Geklagt hat ein Käufer eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung (ein Geschädigter des Abgasskandals).

Rechtlicher Kontext der Entscheidung

Das Urteil ist in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert. Einerseits zückt das Gericht mit der Verurteilung zur Schadensersatzzahlung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung ein sehr scharfes Schwert. Andererseits richtet sich das Urteil – anders als viele andere Urteile – nicht gegen die jeweiligen Händler, sondern gegen VW selbst. Zwar hat der Bundesgerichtshof (BGH), das höchste deutsche Gericht in Zivilsachen, noch kein abschließendes, höchstrichterliches Urteil zu dieser Frage gefällt. Bislang gibt es nur einen Hinweisbeschluss des BGH zu der Frage, ob eine Abschalteinrichtung einen Sachmangel darstellt. Wohl auch, weil VW viel daran liegt, negative Urteile zu verhindern, und VW deshalb häufig Vergleiche mit den Klägern schließt. Das Urteil reiht sich aber in mehrere Urteile höherer Gerichte ein, die einen direkten Schadensersatzanspruch von Käufern gegen VW bejaht haben. Zuletzt haben das OLG Karlsruhe am 5. März 2019 und das OLG Köln am 3. Januar 2019 zugunsten der Käufer auf gleicher rechtlicher Grundlage einen Anspruch bejaht.

Sachverhalt: Was ist passiert?

Der Kläger kaufte am 10. Januar 2014 einen VW Sharan Gebrauchtwagen zu einem Preis von 31.490,- Euro brutto. Dieses Fahrzeug war mit einer „Schummel-Software“ ausgestattet. Die Software bewirkt, dass die Abgase des Fahrzeugs in den Motor zurückgeleitet werden, wenn eine Abgasmessung stattfindet. Dadurch werden weniger Stickoxide gemessen als bei normalem Fahrbetrieb.

Nach Auffassung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA), das für die Fahrzeuggenehmigung zuständig ist, handelt es sich dabei um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Daraus folgen Probleme mit der Typengenehmigung. Das Kraftfahrt-Bundesamt kann nämlich gemäß § 25 Abs. 3 der Fahrzeuggenehmigungsverordnung (EG-FGV) die Typgenehmigung ganz oder teilweise widerrufen oder zurücknehmen, wenn Fahrzeuge oder deren Bauteile nicht mit dem genehmigten Typen übereinstimmen.

Am 15. September 2017 forderte der Kläger deshalb VW auf, den Kaufpreis zu erstatten. Im Gegenzug bot er Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs an. Da VW darauf nicht einging, klagte er vor dem Landgericht (LG) Bad Kreuznach. Das Gericht wies die Klage ab.

Wie genau hat das OLG geurteilt?

Gegen die Klageabweisung des Landgerichts legte der Kläger Berufung ein. Diese war weitgehend erfolgreich: Das Oberlandesgericht verurteilte VW wegen eines Anspruchs aus § 826 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in Verbindung mit § 31 BGB vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zur Zahlung von 25.616,10 Euro. Wer einen Blick nach oben wirft, der bemerkt, dass es sich dabei nicht um den ursprünglichen Preis von 31.490,- Euro handelt. Das liegt daran, dass sich der Kläger die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen muss – immerhin ist er 40.000-50.000 Kilometer mit dem Fahrzeug gefahren. Daraus folgt, dass der Kläger auch 19% der Prozesskosten tragen musste, weil er insoweit VW im Rechtsstreit unterlag. Das ergibt sich aus § 92 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Begründung des Urteils

Jeder Anspruch hat bestimmte Voraussetzungen. Bei einem Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung ist es regelmäßig schwierig, alle Voraussetzungen nachzuweisen. Das liegt einerseits daran, dass den Anspruchsinhaber eine sehr umfangreiche Beweislast trifft, was die Tatsachen anbelangt. Anders als bei einem vertraglichen Schadensersatzanspruch gibt es keine Beweislastumkehr. Man spricht hierbei auch von einer der „Schwächen des Deliktsrechts“. Außerdem muss der Anspruchsinhaber auch darlegen, dass der Gegner vorsätzlich und sittenwidrig handelte. Insbesondere das stellt sich häufig als schwierig dar. Die Argumentation des Gerichts wird im Folgenden dargelegt.

Täuschung als Tathandlung

VW hat zwar nicht explizit vor dem Verkauf behauptet, dass sich im Fahrzeug keine unzulässigen Abschalteinrichtungen befinden. Eine Täuschung liegt aber nicht nur dann vor, wenn jemand aktiv lügt. Stattdessen liegt laut BGH eine Täuschung bei jeder „Einwirkung […] auf die Vorstellung des Getäuschten [vor], die geeignet und dazu bestimmt ist, beim Adressaten der Erklärung eine Fehlvorstellung über tatsächliche Umstände hervorzurufen. Sie [kann] in der Vorspiegelung falscher oder in der Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen [bestehen].“ Das OLG führt dazu folgerichtig aus:

„Das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit der [Abgasrückführung] unter bewusstem Verschweigen der (gesetzwidrigen) Softwareprogrammierung stellt eine […] Täuschung dar, da der Hersteller mit dem Inverkehrbringen konkludent die Erklärung abgibt, der Einsatz des Fahrzeugs sei im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig. […] Unerheblich bleibt [dabei], dass [VW] an dem Erwerb des hier streitgegenständlichen Fahrzeuges weder unmittelbar noch über einen Händler beteiligt war. […] Auch bei Gebrauchtwagenkäufen bilden die allgemeinen Herstellerangaben und die Typengenehmigung die Grundlage des Erwerbsgeschäftes“

Wie zur Täuschung hat das Gericht auch zur Sittenwidrigkeit eine ausführliche Argumentation dargelegt. Zunächst geht es auf die allgemeinen Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit ein, danach fasst es den konkreten Sachverhalt unter diese Grundsätze:

Objektiv sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach Inhalt oder Gesamtcharakter […] mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt [was hier der Fall ist] oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann.“

Zu Ziel, Mittel, Folgen und Gesinnung

„Der Beweggrund für die Verwendung der Software ist (auch) in einer von der Beklagten angestrebte Profitmaximierung zu sehen. […] Zu berücksichtigen ist auch, dass […] die Täuschung gegen […] eine große Zahl getäuschter Personen als Ziel hatte. […] Als weiterer Aspekt kommt hinzu, dass das Vorgehen der Beklagten systematisch erfolgte. Über Jahre hinweg wurde die Abschalteinrichtung bei mehreren Tochterunternehmen des Konzerns in diversen Fahrzeugvarianten eingesetzt. […] Die unstreitige Gesamtzahl der betroffenen Fahrzeuge zeigt die besondere Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten, das sich nicht auf ein Fehlverhalten in einer Nischentätigkeit beschränkt, sondern den Kernbereich ihres Handelns betroffen hat. […] Es liegt mithin ein rechtlich nicht erlaubtes, in großem Stil angelegtes Vorgehen der Beklagten aus reinem Gewinnstreben vor. Die Verwerflichkeit wird durch das systematische Vorgehen und den großen betroffenen Personenkreis vertieft.“

Erforderlich für einen Vorsatz im Rahmen des § 826 BGB ist bedingter Schädigungsvorsatz (auch „dolus eventualis“ genannt). Das heißt, dass der Schädiger zumindest billigend in Kauf nehmen hätte müssen, dass jemand geschädigt wird. Es muss ihm also zumindest egal gewesen sein. Dazu stellt das OLG Folgendes fest:

„Die Software wurde bewusst [also vorsätzlich] in die Motorsteuerung eingebaut, um die Abgasrückführung beeinflussen zu können und so die Typengenehmigung zu erhalten. […] Dabei wurde bewusst in Kauf genommen, dass eine Entdeckung der verwendeten Software dazu führen würde, dass die Betriebserlaubnis der betroffenen Fahrzeuge würde erlöschen können. Die Beklagte hat dabei das Risiko der darin liegenden Schädigung der Kunden als möglich erkannt und dennoch billigend in Kauf genommen.

Zurechnung

Klar ist: Ein Unternehmen wie VW hat keine Arme und Beine. Es kann also nicht selbst handeln. Also kann es auch nicht eigenständig täuschen. Allerdings muss es sich – wie jede andere Kapitalgesellschaft auch – das Handeln und das Wissen seiner „Organe“ (Vorstand, Aufsichtsrat) zurechnen lassen. Dabei muss nicht unbedingt der Vorstand oder Aufsichtsrat Bescheid gewusst haben. Für eine Zurechnung nach § 31 BGB reicht es sogar aus, wenn einer Person davon gewusst hat, der „bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren“ (BGH, Urteil vom 30. Oktober 1967). Dazu gehören also auch leitende Angestellte. Das OLG geht davon aus, dass der Leiter der Entwicklungsabteilung von der Verwendung wusste. Interessant ist dabei, dass der Kläger den Beweis allein über öffentlich zugängliche Quellen führte. Dementsprechend ist das sittenwidrige Verhalten auch der Volkswagen AG zurechenbar.

Kausaler Schaden

Zuletzt hat das OLG auch festgestellt, dass durch den Kauf eines Fahrzeugs mit Abschalteinrichtung dem Kläger ein Schaden entstanden ist, der auf die Täuschung zurückgeführt werden kann. Dementsprechend ist der geschädigte Kläger so zu stellen, wie er stünde, wenn er nie getäuscht worden wäre – er kann also Schadensersatz gegen Herausgabe des Fahrzeugs verlangen, wobei ihm die gezogenen Nutzungen (40.000-50.000 km gefahren) abzuziehen sind.

Umut Schleyer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht in Berlin