Der Versicherungsfall ist ein bestimmter Sachverhalt, der im Rahmen eines Versicherungsvertrags abgesichert ist. Beim Eintritt eines bestimmten Geschehnisses (des Versicherungsfalles) muss der Versicherer eine abgesprochene Versicherungssumme auszahlen. So ist es auch in § 1 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) beschrieben:

„Der Versicherer verpflichtet sich mit dem Versicherungsvertrag, ein bestimmtes Risiko des Versicherungsnehmers oder eines Dritten durch eine Leistung abzusichern, die er bei Eintritt des vereinbarten Versicherungsfalles zu erbringen hat. Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, an den Versicherer die vereinbarte Zahlung (Prämie) zu leisten.“

Erklärung des Begriffs

Der Begriff lässt sich nur präzise definieren, wenn er wie oben abstrakt gehalten wird. Das sorgt schnell dafür, dass die Definition auf Unverständnis stößt. Hierzu folgt deshalb eine ausführliche Erklärung.

Geschichte der Versicherungen

Versicherungsunternehmen oder große Versicherungskassen gibt es schon seit einigen Jahrhunderten. Früher wie heute wurden Versicherungen dazu genutzt, schwerwiegende Risiken abzudecken. Das beste Beispiel dafür sind Brandschäden. Früher wie heute gab es stets ein Bedürfnis, sein Hab und Gut gegen große Brände zu versichern. Das liegt einerseits daran, dass Brände praktisch überall aus schwer ersichtlichen Gründen auftreten könnten, und andererseits einen enormen Schaden anrichten könnten, auch wenn große Brände insgesamt recht selten geschehen. Das große Risiko wird deshalb mit einer Versicherung auf viele verteilt, indem jeder einen kleinen Teil (eine Prämie) dazu beiträgt, dass im Falle eines Brandschadens (Versicherungsfall) eine große Summe (Versicherungssumme) zur Behebung dieser Schäden bereitsteht.

In solchen (klassischen) Konstellationen ist der Versicherungsfall einfach bestimmbar: Wenn ein Brand einen Schaden verursacht, tritt der Versicherungsfall ein. Dann muss der Versicherer den Schaden ersetzen.

Versicherungen heute

Der Sinn und Zweck von Versicherungen ist teilweise gleichgeblieben. Die Welt hat sich aber seit dem 17. Jahrhundert (zum Glück) deutlich gewandelt. Mit diesem Wandel haben sich auch Bedeutung und Zweck von Versicherungen geändert. Deshalb sind auch immer wieder neue Versicherungsprodukte aufgetreten, für die früher kein Bedarf war. Zu nennen wären hier etwa:

  • Die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung (schützt vor Inanspruchnahme von den Verkehrsteilnehmern, die man schädigt),
  • eine Handy- oder Brillenversicherung (schützt meist gegen Verlust oder Zerstörung),
  • die D&O-Versicherung (schützt Geschäftsleiter von Unternehmer vor Haftungsrisiken gegenüber ihrem eigenen Unternehmen),
  • die Cyberversicherung
  • oder auch die Shitstorm-Versicherung (die vor allem vor Umsatz- oder Gewinneinbrüche durch Reputationsschäden schützen soll).

Anhand einer Haftpflichtversicherung lässt sich vielleicht noch gut vorstellen, was ein Versicherungsfall ist: Ein Verkehrsteilnehmer baut mit seinem Fahrzeug schuldhaft einen Unfall, und der Unfallgeschädigte hat einen Anspruch gegen ihn. Aber was ist bei einer D&O-Versicherung der Versicherungsfall, und was bei einer Shitstorm-Versicherung?

Wo ist der Versicherungsfall bestimmt?

Eine Versicherung ist im Prinzip nichts anderes als ein Vertrag, der festlegt, wer in welchem Fall wem was zahlen muss. Versicherungen sind also ein „reines Rechtsprodukt“. Und weil Versicherungsrecht über Verträge vereinbart wird, ist es größtenteils Vertragsrecht. Das heißt, dass zunächst einmal genau das gilt, was der Versicherungsnehmer und der Versicherer im Vertrag festgehalten haben.

Auch der Versicherungsfall ist folglich immer im konkreten Versicherungsvertrag bestimmt. Weil Versicherungsunternehmen immer bestimmte Verträge anbieten, und Versicherungsverträge nie mit Kleinkunden einzeln aushandeln, schreiben sie den Versicherungsfall immer in die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB). Dabei handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), also Regelungen, die Bestandteile eines Vertrags werden.

Diese allgemeinen Bedingungen enthalten auf den ersten Seiten die grundlegendsten Antworten auf Fragen zum Vertrag, also vor allem:

  • Was ist versichert (Versicherungsfall),
  • Wer ist versichert (Versicherter / versicherte Person),
  • und bis zu welcher Höhe wird gezahlt (Versicherungssumme).

Beispiel für eine Bestimmung in AVB

Beispiele für solche Bestimmungen finden sich etwa auf der Seite des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Dabei handelt es sich um Muster, die „echten“ Bedingungen der Versicherer können davon abweichen. Hier ein kurzer Auszug zu Zwecken der anschaulichen Darstellung:

A: Welche Leistungen umfasst Ihre Kfz-Versicherung?

A.1: Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung – für Schäden, die Sie mit ihrem Fahrzeug anderen zufügen

A.1.1: Was ist versichert?

Sie haben mit Ihrem Fahrzeug einen anderen geschädigt

A.1.1.1: Wir stellen Sie von Schadensersatzansprüchen frei, wenn durch den Gebrauch des Fahrzeugs

  • Personen verletzt oder getötet werden,
  • Sachen beschädigt oder zerstört werden oder abhanden kommen,
  • Vermögensschäden verursacht werden, die weder mit einem Personen- oder Sachschaden mittelbar oder unmittelbar zusammenhängen (reine Vermögensschäden).

Umut Schleyer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht in Berlin