Wer haftet wenn ein Ast vom Baum fällt?

Eigentümer müssen auf ihre Sachen achten, insbesondere, wenn von ihnen Gefahren für Dritte ausgehen können.

Aber worauf muss der Eigentümer achten, welche Pflichten bestehen für ihn, und in welchem Umfang?

Damit hat sich der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg beschäftigt. In einem Hinweisbeschluss vom 11. Mai 2017 führt er aus, was der Eigentümer eines Baumes beachten muss, und wann er haftet.

Nun wird sich manch einer fragen: Wieso muss man auf einen Baum aufpassen, inwiefern sollte denn von einem Baum eine Gefahr ausgehen? Es gibt eine einfache Antwort darauf: Äste und andere Teile eines Baumes können abbrechen, und für Menschen und Sachen darunter gefährlich werden. Gerade im Herbst gibt es viele Sachschäden und auch Personenschäden durch Bäume. In dem oben genannten Fall ist ein Ast auf ein Auto gefallen. Der Sachschaden betrug etwa 9.000,- Euro.

Ast – Schäden durch Äste

Der Baum als Gefahrenquelle ist kein neues Phänomen. Streitigkeiten wegen herabfallender Äste gibt es schon seit Ewigkeiten. Im Jahre 1965 hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil (Az.: III ZR 217/63) Grundsätze herausgearbeitet, welche Pflichten den Eigentümer des Baumes treffen. Erfüllt er diese Pflichten, haftet er nicht. Kommt er ihnen nicht nach, kann es für ihn teuer werden. Diese Art von Pflichten, Gefahrenquellen einzudämmen und zu überwachen, nennt man „Verkehrssicherungspflichten“.

Viele Fälle dieser Art kommen gar nicht erst vor Gericht. Man einigt sich entweder außergerichtlich oder verzichtet auf die Verfolgung seiner Interessen, weil der Schaden augenscheinlich gering ist. Zum Teil wird auch gedacht, solche Schäden würde man gar nicht ersetzt bekommen. Ein Irrglaube, denn oft bestehen deliktische Schadensersatzansprüche.

Wie ist die Rechtslage?

Schäden wegen herabfallender Äste sind extrem häufig. Inzwischen gibt es deshalb etliche Gerichtsurteile zu diesem Thema. Für Richter und Rechtsanwälte sind diese Fälle also ganz alltäglich. Denn Dementsprechend oft streitet man sich darum, wer woran Schuld hat. Dabei unterscheidet sich jeder einzelne Fall minimal von jedem anderen. Denn jeder Baum wächst anders, jeder Eigentümer hat andere Möglichkeiten. Also muss jeder Fall einzeln betrachtet werden. Und mit jedem weiteren Fall fassen die Gerichte nach und nach die Pflichten, die einen Eigentümer treffen, immer etwas genauer.

Ast – was passierte im konkreten Fall?

Die Eigentümerin eines Autos stellte ihr Auto an einer Wohnanlage ab. Das Auto stand unter einer Rotbuche. Es kam, wie es kommen musste, sie ging zum Auto zurück, und entdeckte den Schaden. Wichtig ist an dieser Stelle folgende Frage: haftet in so einem Fall? An wen muss sie sich wenden?

Eine Wohnanlage besteht aus verschiedenen Wohnungen, die oft unterschiedlichen Eigentümern gehören. In solchen Fällen besteht gemäß §§ 1, 3 des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) Miteigentum an den Wohnungen. Die Eigentümer bilden gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 WEG eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Theoretisch könnte die Geschädigte entweder gegen die Gemeinschaft oder gegen jeden einzelnen Eigentümer vorgehen. Die Gemeinschaft hat jedoch eine Hausverwaltung mit der Unterhaltung der Wohnanlage beauftragt. Gegen diese Hausverwaltung hat die Geschädigte geklagt.

In einem Zivilprozess ist es extrem wichtig, darauf zu achten, gegen wen man sich mit der Klage wendet. Rechtsanwälte kennen sich damit aus. Schenkt man diesen Fragen zu wenig Beachtung, kann die Klage abgewiesen werden, und man bleibt auf den Kosten sitzen.

Klage auf Schadensersatz

Die Klage der Geschädigten war gerichtet auf die Erstattung von Schadensersatz. Weil es sich um einen Schaden von mehr als 5.000,- Euro handelt (siehe § 23 Abs. 1 Nr. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)), klagte sie in erster Instanz vor dem Landgericht. Ihre Argumentation war folgende: Die Hausverwaltung habe den Baum nicht ausreichend überwacht und untersucht.

Im Prozess holte sie auch ein Gutachten von einem Sachverständigen ein. In solchen Fällen ist das durchaus üblich. In dem Gutachten kam der Sachverständige zur folgenden Feststellung: Die Rinde hat sich an einer Astgabelung länglich verdickt. Das ist ein Anzeichen für eine mögliche Instabilität des Astes, der daraufhin auch abgebrochen ist. Die Geschädigte war der Ansicht, die Hausverwaltung hätte deswegen einen Experten hinzurufen müssen.

Ast – wie urteilte das Landgericht?

Das Landgericht wies die Klage ab. Es gab keinen Schadensersatz für die Klägerin.

Die Geschädigte ging in Berufung, doch auch das half nichts. In einem Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg wurde bestätigt, was das Landgericht schon feststellte. In einer Presseerklärung des Oberlandesgerichts Oldenburg lässt sich folgendes zur Begründung entnehmen:

„Zwar müsse der Eigentümer grundsätzlich dafür Sorge tragen, dass von dem Baum keine Gefahr ausgehe. Er müsse daher auch die Bäume auf seinem Grundstück auf Schäden und Erkrankungen und auf ihre Standfestigkeit regelmäßig untersuchen. Dies gelte in erhöhtem Maße, wenn der Baum im Bereich von Verkehrsflächen stehe und damit potenziell andere Personen gefährde.“

Unterschiede zwischen Laien und Experten

Grundsätzlich kann man auch in so einem Fall haften. Es kommt aber darauf an, ob denn die Gefahr erkennbar ist. Wenn zum Beispiel für einen Laien eine Gefahr nicht erkennbar ist, dann haftet er nicht. Bei Gemeinden, Städten oder Profis muss man allerdings andere Maßstäbe anlegen: Von ihnen ist zu erwarten, dass sie Straßenbäume regelmäßig von qualifiziertem Personal darauf überprüfen ließen, ob es Anzeichen für eine Instabilität gibt.

In diesem Fall des herabstürzenden Astes sei die Instabilität nur für einen „Fachmann mit forstwirtschaftlichem Wissen“ zu erkennen gewesen. Die Hausverwaltung hätte es demnach nicht erkennen müssen, und war auch nicht verpflichtet, den Baum von einem Experten überprüfen zu lassen. Die Geschädigte musste den Schaden dementsprechend selbst tragen.

Ast – welche Grundsätze gelten?

Der BGH hat die wichtigsten Grundsätze in einem Urteil aufgestellt, in dem es darum ging, ob ein Ehepaar, das auf einer Bundesstraße verunglückte, Schadensersatz erhalten kann. Ein Baum ist auf das Auto gestürzt. Der Baum war zwar äußerlich noch komplett grün, aber von innen komplett mit Pilzen befallen und morsch. Das Ehepaar klagte gegen das Bundesland. Und bekam Recht.

Bei solchen Klagen geht es weitestgehend um Folgendes: Hätte eine Gefahr erkannt werden können? Und wenn ja, wurde ausreichend gehandelt?

Somit geht es stets um Fragen rund um Verkehrssicherungspflichten.

Der BGH führt hierzu aus:

„Den Ländern obliegt die Verkehrssicherungspflicht für die Bundesstraßen. Diese Straßenverkehrssicherungspflicht soll den Gefahren begegnen, die aus der Zulassung eines öffentlichen Verkehrs auf den Straßen entstehen können. Dazu ist eine regelmäßige Überprüfung der Straßen notwendig, um neu entstehende Schäden oder Gefahren zu erkennen und die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen zu treffen. Der Pflichtige muss daher die Straßen regelmäßig beobachten und in angemessenen Zeitabschnitten befahren oder begehen. Allerdings kann nicht verlangt werden, dass eine Straße ständig völlig frei von Mängeln und Gefahren ist; ein solcher Zustand lässt sich einfach nicht erreichen. Der Verkehrssicherungspflicht ist genügt, wenn die nach dem jeweiligen Stande der Erfahrungen und Technik als geeignet und genügend erscheinenden Sicherungen getroffen sind, also den Gefahren vorbeugend Rechnung getragen wird, die nach der Einsicht eines besonnenen, verständigen und gewissenhaften Menschen erkennbar sind. Dann sind diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die zur Gefahrenbeseitigung objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind.“

Daraufhin wird der BGH noch konkreter, was die Pflichten des Landes angeht:

„Der Pflichtige muss daher Bäume oder Teile von ihnen entfernen, die den Verkehr gefährden, insbesondere wenn sie nicht mehr standsicher sind oder herabzustürzen drohen. Zwar stellt jeder Baum an einer Straße eine mögliche Gefahrenquelle dar, weil durch Naturereignisse sogar gesunde Bäume entwurzelt oder geknickt oder Teile von ihnen abgebrochen werden können. Andererseits ist die Erkrankung oder Vermorschung eines Baumes von außen nicht immer erkennbar; trotz starken Holzzerfalls können die Baumkronen noch völlig grün sein und äußere Krankheitszeichen fehlen. Ein verhältnismäßig schmaler Streifen unbeschädigten Kambiums genügt, um eine Baumkrone rundum grün zu halten. Das rechtfertigt aber nicht die Entfernung aller Bäume aus der Nähe von Straßen, denn der Verkehr muss gewisse Gefahren, die nicht durch menschliches Handeln entstehen, sondern auf Gegebenheiten oder Gewalten der Natur beruhen, als unvermeidbar hinnehmen.“

Wann liegt eine schuldhafte Pflichtverletzung vor?

„Eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht liegt in solchen Fällen nur vor, wenn Anzeichen verkannt oder übersehen worden sind, die nach der Erfahrung auf eine weitere Gefahr durch den Baum hinweisen. Die Behörden genügen daher ihrer Überwachungs- und Sicherungspflicht hinsichtlich der Straßenbäume, wenn sie auf Grund der laufenden Beobachtung eine eingehende Untersuchung dann vornehmen, wenn besondere Umstände sie dem Einsichtigen angezeigt erscheinen lassen. Solche verdächtigen Umstände können sich ergeben aus trockenem Laub, dürren Ästen oder verdorrten Teilen, aus äußeren Verletzungen oder Beschädigungen, dem hohen Alter des Baumes, dem Erhaltungszustand, der Eigenart seiner Stellung, dem statischen Aufbau usw.

Äußere Besichtigung reicht in der Regel

„Es ist also nicht nötig, dass die laufende Überwachung der Straßenbäume ständig durch Forstbeamte mit Spezialerfahrung erfolgt, oder dass gesunde Bäume jährlich durch Fachleute bestiegen werden, die alle Teile des Baumes abklopfen oder mit Stangen oder Bohrern das Innere des Baumes untersuchen. Nicht einmal die Straßenwärter brauchen die Bäume ständig abzuklopfen, weil sie die dafür notwendige Erfahrung nicht besitzen. Der Pflichtige kann sich vielmehr mit einer sorgfältigen äußeren Besichtigung, also einer Gesundheits- und Zustandsprüfung begnügen und braucht eine eingehende fachmännische Untersuchung nur bei Feststellung verdächtiger Umstände zu veranlassen.“

Die Schadensstelle am Baum war erkennbar, der Baum war äußerlich erkennbar beschädigt. Das Land hat also dadurch, dass es nicht handelte, seine Verkehrssicherungspflicht verletzt.

Ast – was lernt man daraus?

  • Laien müssen nur erkennen, was sie erkennen können!
  • Gefahrenquellen muss man regelmäßig überprüfen!
  • Wenn man etwas entdeckt, was gefährlich werden könnte: Im Zweifel Handeln!
  • Auch Land und Staat können für Schäden haften! (Man spricht hier von „Staatshaftungsrecht“, die Grundlagen finden sich in § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und Art. 34 des Grundgesetzes.)

Umut Schleyer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht in Berlin