Mit dem Begriff „Beweisaufnahme“ ist die Erhebung von Beweisen durch ein Gericht gemeint. Die Beweisaufnahme spielt in allen Gerichtsbarkeiten (ordentliche Gerichtsbarkeit, also Strafrecht und Streitigkeiten zwischen Bürgern; Verwaltungsgerichtsbarkeit, weitere Gerichtsbarkeiten sind in Art. 95 des Grundgesetzes aufgeführt) und auch an den Verfassungsgerichten eine große Rolle. Sie betrifft also den Großteil der gerichtlichen Tätigkeit.

Erklärung des Begriffs

Gegenstand der gerichtlichen Tätigkeit ist nämlich die Wahrheitsfindung auf Grundlage eines streitigen Sachverhalts, um zu einem verwertbaren rechtlichen Ergebnis zu kommen. Was sich kompliziert anhört ist tatsächlich relativ einfach. Hierzu ein kleines Beispiel. Der streitige Sachverhalt lautet zum Beispiel wie folgt: Herr Y behauptet, Herr X habe eine seiner Sachen beschädigt. Vor Gericht behauptet Herr X, das sei gar nicht wahr. Herr Y behauptet, dass es stimme. Um hier zu einer Entscheidung zu gelangen, muss das Gericht herausfinden, was tatsächlich passiert ist. Richter ermitteln aber nicht eigenständig den Sachverhalt, die Parteien eines Rechtsstreits (hier Herr X und Herr Y) müssen ihre Behauptungen glaubhaft machen. Dazu dienen Beweismittel. Die Beweismittel werden im Rahmen der Beweisaufnahme in den Prozess auf Antrag der Parteien eingeführt.

Gesetzliche Regelungen zur Beweisaufnahme

Regelungen zur Beweisaufnahme finden sich zum Beispiel in den §§ 355 – 494a. der Zivilprozessordnung (ZPO). Diese Regelungen beschreiben vor allem, wie eine Beweisaufnahme erfolgt, und welche Beweismittel zulässig sind. Für andere Gerichtsbarkeiten verweist das Gesetz regelmäßig auf diese zivilprozessualen Regeln, sie sind also weitgehend identisch:

  • Verwaltungsgerichtsbarkeit: § 98 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
  • Finanzgerichtsbarkeit: § 82 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
  • Sozialgerichtsbarkeit: § 118 Abs.1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)
  • § 46 Abs. 2 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG)

Unterschiede zwischen Zivilprozess und Strafprozess

Auch in der Strafprozessordnung (StPO) gibt es Regelungen zur Beweisaufnahme. Hier gibt es aber große Unterschiede zum Zivilprozess. Es gibt hier nämlich nicht den Freibeweis, sondern der Strengbeweis. Das heißt, dass für einige gerichtliche Feststellungen nur folgende Beweisarten zulässig sind:

    • Der Zeugenbeweis,
    • der Urkundenbeweis,
    • der Sachverständigenbeweis und
    • der Augenscheinbeweis.

Andere Gerichtsbarkeit? Andere Verfahrensgrundsätze!

Je nach Gerichtsbarkeit gibt es unterschiedliche Verfahrensgrundsätze. Anders als im Zivilprozess gibt es zum Beispiel im Strafrecht keine Beweislastumkehr zu Lasten des Angeklagten. Im Rahmen einer Beweislastumkehr müsste man zum Beispiel beweisen, dass man etwas nicht getan hat. Stattdessen muss die Staatsanwaltschaft vollumfänglich darlegen, dass sich der Angeklagte strafbar gemacht hat. Ein Grundsatz des Strafprozesses lautet nämlich, dass jeder als unschuldig gilt, bis das Gegenteil bewiesen ist („Unschuldsvermutung“, „in dubio pro reo“).

Unterschiede bei der Beweiswürdigung

Grundsätzlich gilt: Das Gericht entscheidet darüber, wie ein bestimmter Beweis zu werten ist. Das ergibt sich unter anderem aus § 286 ZPO und § 261 StPO. Aber auch bei der Beweiswürdigung gibt es Unterschiede. Am Ende eines Strafprozesses dürfen keine vernünftigen Zweifel daran bestehen, dass der Angeklagte die Tat begangen hat, sonst ist er freizusprechen. Im Strafprozess wird auch ein Geständnis eines Angeklagten nicht ohne zu hinterfragen für wahr gehalten. Hier gilt der Amtsermittlungsgrundsatz („Inquisitionsmaxime“), wie auch in der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Das Gericht darf sich also nicht blind auf das verlassen, was die Beteiligten im Rahmen der Verhandlung vortragen, sondern muss den Sachverhalt – sofern möglich – erforschen.

Im Zivilprozess werden dagegen Tatsachen, über die sich beide Parteien einig sind, grundsätzlich als wahr angesehen. Hier gilt nämlich nicht der Dispositionsgrundsatz. Wenn die Parteien sagen, dass das (tatsächlich grüne) Auto blau ist, dann ist es für das Gericht blau.

Ein weiterer Unterschied: Unmittelbarkeitsgrundsatz

Das klassische Beispiel zum Unmittelbarkeitsgrundsatz: Die Polizei vernimmt einen Zeugen. Der Zeuge erzählt auf der Polizeiwache alles bis ins kleinste Detail. Darüber wird auch Protokoll geführt. Der Zeuge ist allerdings mit dem Angeklagten verwandt und hat ein Zeugnisverweigerungsrecht. Deshalb verweigert er vor Gericht die Aussage. Der Zeugenbeweis kann also nicht geführt werden. Aufgrund des Unmittelbarkeitsgrundsatzes kann auch nicht das Protokoll vor Gericht als Urkundenbeweis geführt werden, der Zeuge müsste vernommen werden. Im Zivilrecht ist das anders: Hier kann zum Beispiel ein Auszug aus einer Strafakte im Rahmen der Beweiserhebung eingebracht werden.

Worüber wird Beweis erhoben?

Die Beweisaufnahme ist immer auf die Tatsachen beschränkt, welche für eine Entscheidung erheblich sind („Entscheidungserhebliche Tatsachen“). Wenn es im Zivilprozess zum Beispiel um eine Schadensersatzforderung geht, weil jemand einen Unfall verursacht hat, ist für dieses konkrete Verfahren nicht erheblich, dass die Person jeden Tag Blumen an das Bett des Unfallopfers geschickt hat. Das mag zwar eine nette Geste sein, wirkt sich aber nicht auf die Höhe des Schadensersatzes aus. Deshalb wird darüber auch nicht Beweis erhoben.

Ein prominentes Beispiel hierzu, das bei vielen auf Unverständnis gestoßen ist, ist das Verfahren zu den NSU-Morden: In einem Strafprozess sollte nur über die Schuld der konkret Angeklagten befunden werden. Trotzdem haben einige Nebenklägeranwälte Anträge gestellt, die darauf hinwirken sollten, herauszufinden, warum Geheimdiensten grobe Fehler unterlaufen sind. Die Anträge wurden ohne weiteres abgelehnt, weil sie zur Feststellung der Schuld der Angeklagten nichts beitragen konnten. Damit muss sich stattdessen ein Untersuchungsausschuss befassen.

Einstweiliger Rechtsschutz: Besonderheiten

Neben den üblichen Klagearten (Leistungsklage, gerichtet auf Schadensersatz, oder Feststellungsklage, gerichtet auf Feststellung, dass ein Vertrag nicht besteht) gibt es auch den so genannten „einstweiligen Rechtsschutz“. Dieses Verfahren soll jemanden davor schützen, dass Folgen eintreten, die man nicht mehr beseitigen kann, wenn alles so weiterläuft wie bisher. Ein Beispiel: Eine Behörde verbietet einem Bürger etwas, und ordnet die sofortige Vollziehung an. Wenn man nun dagegen klagen würde, würde es bis zum Urteil zwischen sechs und acht Monaten dauern. Blöd nur, wenn die Klage dem Bürger nichts bringt, weil er ein schnelles Urteil braucht.

Nur „summarische Prüfung“ im einstweiligen Rechtsschutz!

Genau hier greift der einstweilige Rechtsschutz ein. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes wird nur grob geprüft, ob der Bürger mit einer normalen Klage Erfolg hätte. Trifft das zu, wird dem Antrag stattgegeben. Eine umfangreiche Beweisaufnahme wie im Hauptverfahren gibt es nicht. Im Zivilrecht kann eine einstweilige Verfügung sogar innerhalb eines Tages erfolgen. Sofern die andere Partei keine Schutzschrift eingereicht hat, gibt es nicht mal eine mündliche Verhandlung, sondern nur einen Beschluss!

Unterschied: Berufung und Revision

Wer mit einer gerichtlichen Entscheidung nicht zufrieden ist, der kann dagegen regelmäßig mit Berufung oder Revision vorgehen. Dabei ist das Berufungsverfahren eine Tatsacheninstanz. Es werden also die Tatsachen, die für eine Entscheidung erneut erhoben werden müssen, durch das Gericht erneut im Rahmen der Beweisaufnahme ins Verfahren eingebracht. Anders ist es bei der Revision: Im Rahmen der Revision wird eine Entscheidung nur auf Rechtsfehler überprüft, eine erneute Beweisaufnahme findet nicht statt!

Umut Schleyer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht in Berlin