Der Begriff „Wirtschaftlichkeitsgebot“ ist mit dem Begriff „Wirtschaftlichkeitspostulat“ gleichbedeutend. Das Wirtschaftlichkeitsgebot stellt einen wichtigen Faktor bei Schadensersatzansprüchen dar. Der Bundesgerichtshof (BGH) als höchstes deutsches Gericht in Zivilsachen formuliert das Wirtschaftlichkeitsgebot wie folgt:

„[Das Wirtschaftlichkeitsgebot] gebietet dem Geschädigten, den Schaden auf diejenige Weise zu beheben, die sich in seiner individuellen Lage als die wirtschaftlich vernünftigste darstellt, um sein Vermögen in Bezug auf den beschädigten Bestandteil in einen dem früheren gleichwertigen Zustand zu versetzen.“ (Urteil vom 09. Juni 2009)

Erklärung des Begriffs

Das Wirtschaftlichkeitsgebot richtet sich also an den Geschädigten. Es bürdet ihm die Obliegenheit auf, sich wirtschaftlich vernünftig zu verhalten. Tut er dies nicht, dann muss der Schädiger nicht alle entstehenden Kosten ersetzen. Eine andere Obliegenheit, deren Verletzung den Geschädigten teuer zu stehen kommen kann, ist die Schadensminderungspflicht.

Gute Beispiele für das Wirtschaftlichkeitsgebot lassen sich bei Verkehrsunfällen anstellen. Zum besseren Verständnis eine kurze Erklärung:

„Für die Berechnung von Fahrzeugschäden stehen dem Geschädigten regelmäßig zwei Wege der Naturalrestitution zur Verfügung, Reparatur des Unfallfahrzeugs oder Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs [„Ersatzbeschaffung“]. Zwischen diesen Wegen kann der Geschädigte grundsätzlich frei wählen. Denn nach dem gesetzlichen Bild des Schadensersatzes ist der Geschädigte Herr des Restitutionsgeschehens. Aufgrund der nach anerkannten schadensrechtlichen Grundsätzen bestehenden Dispositionsfreiheit ist er grundsätzlich auch in der Verwendung der Mittel frei, die er vom Schädiger zum Schadensausgleich verlangen kann.“ (BGH, Urteil vom 09. Juni 2009)

Beispiel 1:

Der Schädiger verursacht einen Unfall und verschuldet ihn zu 100%. Das Fahrzeug des Geschädigten erleidet einen wirtschaftlichen Totalschaden. Eine Reparatur wäre zwar technisch gesehen möglich, aber wirtschaftlich gesehen nicht sinnvoll. Die Reparaturkosten machen 200% des Wiederbeschaffungswerts aus. Der Geschädigte würde also für die Reparatur doppelt so viel zahlen, wie er bräuchte, um sich ein gleichwertiges Fahrzeug zu kaufen. Trotzdem lässt der Geschädigte das Fahrzeug reparieren. In diesem Fall hat er folglich kein Recht darauf, die Reparaturkosten vollumfänglich ersetzt zu bekommen.

Beispiel 2:

Wieder verursacht der Schädiger den Unfall zu 100%. Das Fahrzeug ist diesmal nicht so sehr beschädigt, dass sich eine Reparatur nicht mehr lohnen würde. Allerdings sucht sich der Geschädigte – anders als bei vorherigen Unfällen – die teuerste Vertragswerkstatt aus, die weit über den üblichen Marktpreisen liegt. Auch in diesem Fall hat der Geschädigte keinen Anspruch darauf, dass ihm die Reparaturkosten komplett ersetzt werden.

Warum gibt es das Wirtschaftlichkeitsgebot?

Für die Existenz des Wirtschaftlichkeitsgebots gibt es vor allem folgende Gründe:

Einerseits soll der Geschädigte sich nicht auf Kosten des Schädigers bereichern können, indem er vom Unfallereignis profitiert („Bereicherungsverbot“). In Deutschland bekommt man bei einem Schadensersatz grundsätzlich nur das ersetzt, was tatsächlich an Schäden entstanden ist. Der Geschädigte soll so gestellt werden, als hätte das schädigende Ereignis nie stattgefunden („Naturalrestitution“, § 249 I BGB). Er soll weder besser noch schlechter gestellt werden.

Anders als zum Beispiel in den USA hat der Schadensersatz auch keine bestrafende Wirkung („punitive damages“). An den Schädiger sollen außerdem keine exorbitanten Forderungen gestellt werden, die er unter keinen Umständen zu erwarten hat, und die gar nicht mehr mit dem Schaden, den er verursacht hat, in einem vernünftigen Verhältnis stehen.

Grenzen des Wirtschaftlichkeitsgebots

Das Wirtschaftlichkeitsgebot gilt nicht unbegrenzt. Es findet da seine Grenze, wo das Integritätsinteresse betroffen ist. Der Eigentümer eines Fahrzeugs hat nämlich ein Interesse daran, dass er genau das Fahrzeug, mit dem er vertraut ist, weiternutzen kann. Es ist daher möglich, bis zu 130% des Wiederbeschaffungswerts für eine Fahrzeugreparatur ersetzt zu bekommen.

Versicherungsunternehmen legen das Wirtschaftlichkeitsgebot immer so weit wie möglich aus, denn das spielt ihnen perfekt in die Hände. Der Haftpflichtversicherer eines Schädigers wird nämlich immer versuchen, den Preis so klein wie möglich zu rechnen. Oft kommt es dann vor, dass dem Geschädigten eine Vertragswerkstatt empfohlen wird, die mit dem Versicherer gemeinsame Sache macht. Diese Werkstätten sind dann laut Versicherer besonders günstig. Der Geschädigte ist aber nicht aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebots darauf beschränkt, die allerbilligste Werkstatt zu nutzen. Im Gegenteil sind Angebote der Versicherer hinsichtlich hauseigener Werkstätte und Gutachter mit Vorsicht zu genießen.

Umut Schleyer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht in Berlin