Streitverkündung

Die Streitverkündung, auch „Litisdenunziation“ genannt, ist ein Begriff aus dem deutschen Zivilprozessrecht. Bei einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen sind regelmäßig nur zwei Parteien beteiligt, ein Kläger und ein Beklagter. Der Kläger macht dabei meist einen Anspruch geltend, den er im Wege eines Gerichtsverfahrens gegen den Beklagten durchsetzen möchte. Das Gericht spricht – sofern der Streit nicht einvernehmlich zwischen den Parteien geschlichtet wird – zu Ende des Prozesses eine Entscheidung aus, die eigentlich nur diese beiden Parteien betrifft („Wirkung inter partes“).

Grundsätzlich geht dieser zivilprozessuale Streit also nur die Beteiligten des Prozesses etwas an. Andere Interessen werden dabei eigentlich nicht berücksichtigt. Der Kläger kann, soweit er obsiegt, seinen Anspruch im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen lassen. Der Beklagte kann entweder Rechtsmittel (Berufung, Revision, Beschwerde) einlegen, wenn er davon überzeugt ist, dass das Urteil fehlerhaft war, oder er muss die eingeklagte Leistung erbringen oder die Zwangsvollstreckung dulden.

Wozu die Streitverkündung?

Es gibt Fälle, in denen ein Urteil nicht nur die beiden Beteiligten, Kläger und Beklagten, betrifft.

Hierzu ein Beispiel:

Dienstleister D soll für Auftraggeber A einen Auftrag ausführen. Der Dienstleister D erledigt den Auftrag aber nicht komplett selbst. Er beauftragt für Teile des Auftrags das Unternehmen U. Später behauptet A, dass D den Auftrag nicht anständig ausgeführt hat, und verklagt ihn auf Schadensersatz. Wenn A gegen D tatsächlich einen Anspruch auf Schadensersatz haben sollte, dann kann D vielleicht seinerseits gegen U vorgehen, weil U seinen Auftrag falsch ausgeführt hat. Also ist U auch daran interessiert, dass der Prozess für D günstig ausgeht. Allerdings ist U keine Partei im Streit. Er kann also vor Gericht nichts vortragen, was für ihn günstig wäre.

Die Lösung: Eine Streitverkündung durch U

In solchen Konstellationen kann die Streitverkündung gemäß der §§ 72 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) weiterhelfen. § 72 Abs. 1 ZPO lautet wie folgt:

„Eine Partei, die für den Fall des ihr ungünstigen Ausganges des Rechtsstreits einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen einen Dritten erheben zu können glaubt oder den Anspruch eines Dritten besorgt, kann bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits dem Dritten gerichtlich den Streit verkünden.“

Übersetzt in einfache Sprache heißt das in Bezug auf unser Beispiel Folgendes: Der Dienstleister D hat einen Rechtsstreit mit dem Auftraggeber A. Sollte der Streit für D ungünstig ausgehen, so kann D gegebenenfalls einen Schadensersatzanspruch gegen U geltend machen. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits kann D also dem U den Streit verkünden. Das heißt dann, dass U an dem Rechtsstreit als Streitgehilfe beteiligt werden kann.

Wirkungen der Streitverkündung

Wenn D dem U den Streit verkündet, hat das zunächst die Folge, dass U als Streitverkündungsempfänger den Beitritt ablehnen kann. Er kann also darüber bestimmen, ob er am Rechtsstreit teilnehmen möchte oder nicht. Das ist Ausprägung des so genannten „Dispositionsgrundsatzes“. Da man sich im Zivilrecht grundsätzlich aussuchen kann, ob man (zum Beispiel durch Vertrag) eigene Rechte begründet, kann man spiegelbildlich auch im Prozessrecht wählen, ob man seine Rechte geltend macht, man wird dazu nicht gezwungen.

U kann aber auch dem Streitverkünder D im Rechtsstreit beitreten. Für U gelten dann die Regeln zur Nebenintervention. Er muss also den Rechtsstreit so annehmen, wie er sich in der Zeit seines Beitritts befindet. Zwar kann U Verteidigungsmittel geltend machen, aber seine Handlungen dürfen nicht in Widerspruch zu denen der Hauptpartei (D) stehen (§ 74 ZPO).

Der Folgeprozess

Im Rahmen der Streitverkündung spricht man von einem Vorprozess und einem Folgeprozess. Der Vorprozess ist der Gerichtsstreit, in dem die Hauptpartei den Streit verkündet. Im Beispiel ist das der Rechtsstreit zwischen dem Auftraggeber A und dem Dienstleister D. Der Folgeprozess ist der Gerichtsstreit, der den Streitverkündeten (Im Beispiel: U) selbst betrifft. Die größte Bedeutung hat eine Streitintervention im Hinblick auf einen Folgeprozess: Wenn D dem U den Streit verkündet, kann sich U entsprechend § 68 der ZPO nicht mehr darauf berufen, dass der Vorprozess falsch entschieden wurde. Wird also im Vorprozess festgestellt, dass eine Leistung falsch erbracht wurde, dann gilt diese Feststellung auch für einen späteren Prozess zwischen D und U.

Umut Schleyer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht in Berlin