eCall

Was bisher nur wenige Autofahrer wissen, betrifft sie bald alle. Denn am 31. März 2018 tritt eine Verordnung der EU (2015/758/EU) in Kraft. Diese Verordnung hat auf alle Fahrzeugmodelle Auswirkungen, die nach diesem Zeitpunkt in der EU eine Typengenehmigung benötigen. Auf lange Sicht betrifft das also mittelbar fast alle KfZ-Fahrer. Was Sie nun lesen, ist kein verfrühter Aprilscherz.

Was ist eCall?

Die zugrunde liegende Idee ist ziemlich simpel: Wenn jemand einen Unfall hat, soll das Auto automatisch einen Notruf absetzen. Bei diesem Notruf sendet das System auch die GPS-Daten des Fahrzeugs. So kann medizinische Hilfe viel schneller eintreffen. Wenn ärztliche Hilfe schneller verfügbar ist, werden Verletzungen schneller behandelt. Laut Schätzungen der EU-Kommission werden so jährlich bis zu 2.500 Menschenleben mehr gerettet.

Zum Vergleich: Allein in Deutschland kamen im Jahr 2017 etwa 3.200 Menschen durch Verkehrsunfälle ums Leben. In der EU sind es jährlich etwa 25.000. Die Zahl der Verkehrstoten sinkt hier immer weiter, auch wenn insgesamt immer mehr Unfälle polizeilich erfasst werden. Und die Zahl der Toten und Schwerverletzten soll mit eCall noch weiter gesenkt werden.

Wie wird eCall umgesetzt?

Alle Serienfahrzeuge müssen als Fahrzeugtypen für den Straßenverkehr nach § 20 Abs. 1 der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) zugelassen werden. Ab dem 31.3.2018 werden nur noch die Fahrzeugtypen zugelassen, die auch über ein eCall-System verfügen.

Die EU-Typengenehmigung

Eine einheitliche Typengenehmigung gibt es europaweit schon seit dem 29. April 2009. Die geht auch auf eine europäische Verordnung (2007/46/EG) zurück. In dieser Verordnung sind technische Anforderungen für Systeme, Bauteile und Fahrzeuge benannt. Der Grund für die Regelung: In Europa soll ein einheitlicher Standard herrschen. So soll die Sicherheit von Fahrzeugen verbessert werden. Wenn außerdem jeder Mitgliedsstaat seine eigenen Regelwerke zur Genehmigung von Fahrzeugen erstellt, kann ein einzelner Staat bestimmte Hersteller bevorzugen oder diskriminieren. Das würde zu Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt führen.

Und der Verdacht, dass so etwas passieren kann, ist begründet. Gegen Deutschland wurde ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, weil das Kraftfahrt-Bundesamt Fahrzeuge von Daimler genehmigt hat, obwohl das nicht hätte geschehen dürfen. Die Fahrzeuge enthielten ein Kühlmittel, das auf EU-Ebene mittlerweile verboten ist. Daimler gab an, es würde sich bei neuen Generation der S-Klasse nur um eine Weiterentwicklung alter Modelle handeln, auf die diese Regel nicht Anwendung fände.

Kein eCall? Bald nicht mehr möglich!

Deutschland wird also von der EU zur Durchsetzung der EU-Verordnung gezwungen, und die Bundesrepublik muss ihrerseits die Hersteller in die Pflicht nehmen. Die Hersteller müssen gemäß Art. 4 der Verordnung 2015/758 auch nachweisen, dass alle neuen Fahrzeugtypen im Einklang mit der Verordnung stehen. Das heißt im Endeffekt: In ein paar Jahren kann man keine Neuwagen ohne eCall mehr finden, in ein paar Jahrzehnten gibt es auch kaum noch Gebrauchtwagen ohne eCall. Faktisch wird es also in absehbarer Zeit fast keine Fahrzeuge ohne eCall auf europäischen Straßen geben. Der Gesamtverband deutscher Versicherer (GdV) geht davon aus, dass im Jahr 2035 in etwa 98,5% aller Pkw eCall verbaut sein wird.

Was ist mit alten Autos?

Alle vor dem 31.3.2018 zugelassenen Fahrzeugtypen sind nicht betroffen. Autos müssen auch bislang nicht nachgerüstet werden. Wer eCall trotzdem einbauen möchte, kann das allerdings tun.

Wichtig: Auf keinen Fall darf das eCall-System entfernt werden, wenn es Bestandteil der Typzulassung ist. Das kann zur Folge haben, dass der eigene Haftpflichtversicherer von seiner Leistungspflicht gemäß § 3 Satz 1 des Pflichtversicherungsgesetzes (PflVG) befreit ist. Wer also versucht, das System zu entfernen oder zu manipulieren, geht große Risiken ein.

Sicherheit, Datenschutz und Privatsphäre – kein Problem?

Man stelle sich vor, es wäre Pflicht, stets ein Gerät bei sich zu tragen, welches immer und überall die aktuelle Position preisgeben kann. Darüber hinaus ist es auch imstande, Gespräche aufzuzeichnen und zu verschicken. So gut wie jeder würde sich wohl dagegen wehren. Viele würden das bislang für eine dystopische Zukunftsvision halten. Einige würden mit einem müden Lächeln auf ihre Smartphones oder auf die GPS- und Kommunikationssystem verweisen. Aber kaum jemand weiß, dass solche Geräte in Autos zur Pflicht werden. Nicht für jeden Bürger unmittelbar, aber eine solche Einrichtung wird künftig in fast jedem Auto verbaut.

Sollte das so sein? Darüber kann man trefflich diskutieren. Jeder würde wohl zustimmen, dass das Leben eines Menschen wichtiger ist, als etwas weniger Technik im Auto zu haben. In Zukunft werden wahrscheinlich viele Menschenleben durch eCall gerettet. Verletzungen fallen weniger gravierend aus, weil der Notarzt sie schneller behandeln kann. Bei Verkehrsunfällen sind es Minuten, die über Leben und Tod entscheiden können. Abgesehen davon gibt es ohnehin in vielen Autos Navigations- und Kommunikationssysteme, die Gespräche und Standortdaten speichern und versenden können. Viele Fahrer nehmen auch ihre Smartphones mit.

eCall

Welche Daten dürfen wie benutzt werden?

eCall kann automatisch oder manuell aktiviert werden. Sobald es aktiviert ist, überträgt es folgende Daten an die Notrufleitstelle:

  1. Die Position des Fahrzeugs,
  2. den Unfallzeitpunkt,
  3. die Fahrzeug-Identifikationsnummer,
  4. ob der Notruf automatisch oder manuell erfolgte,
  5. die Anzahl der Insassen,
  6. die Fahrzeugklasse
  7. und die Antriebsart.

Nutzung nur im Notfall

Die Daten, die bei Aktivierung erhoben werden, dürfen gemäß Artikel 6 Abs. 2 der neuen EU-Verordnung nur für die Notfallsituation verwendet werden. Gemäß Abs. 3 ist auch jede Speicherung, die länger andauert als unbedingt nötig, nicht zulässig. Die Hersteller treffen nach Absätzen 5 und 6 der Verordnung auch weitere umfangreiche Verpflichtungen. Diese sollen gewährleisten, dass niemand die Autos unzulässigerweise überwachen kann. Aber wie sind die Systeme gegen Eingriffe von außen abgesichert? Ist überprüfbar, ob sich die Hersteller an die Regeln halten? Das kann ohne umfassende Kenntnis der konkreten Geräte und Auswertung der Datenströme nicht festgestellt werden. Hinzu kommt, dass das System wohl im Infotainment verankert sein wird. Durch ein einfaches Softwareupdate könnte das Auto also theoretisch zur Datenschleuder werden.

Kontrolle des Datenschutzes in Deutschland

Hinzu kommt, dass es in Deutschland keine zentrale Datenschutzbehörde für Private gibt, sondern 16 Datenschutzbeauftragte, die jeweils als Behörde im Sinne des § 38 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) fungieren. Das Bundeskartellamt kann zwar nach § 32e Abs. 5 GWB bundesweit Verbraucherrechtsverstöße ermitteln, hat hier aber keine Eingriffsbefugnisse. Und die Verbraucherschutzverbände haben kaum Zugriff auf Informationen, die sie zur Durchsetzung von Unterlassungsklagen bräuchten.

Ist eCall die richtige Lösung?

Das eCall-System war auf EU-Ebene schon seit dem Jahre 2003 geplant. Nach heftigem Widerstand von Datenschützern ist es zunächst nicht wie geplant umgesetzt worden.

Gegen eCall lässt sich anführen, dass jeder für seine eigenen Risiken selbst Verantwortung übernehmen kann. Wem zugetraut wird, mit einem zwei Tonnen schweren Wagen bei Geschwindigkeiten von über hundert Stundenkilometern sicher zu fahren, dem sollte man auch zutrauen, darüber zu entscheiden, ob er selbst einen eCall-Dienst im Notfall in Anspruch nehmen möchte oder nicht. Außerdem sterben in Deutschland laut der Drogenbeauftragten etwa 20.000 Menschen durch die Folgen des Alkoholkonsums. Sollte nun jeder Mensch, der Alkohol trinkt, zu seiner eigenen Sicherheit ein Gerät bei sich führen, mit dessen Hilfe der Alkoholpegel ab einem bestimmten Niveau an den Notruf mitsamt Namen und Position weitergeleitet wird?

Eine schlüssige Argumentation?

Wer kurz überlegt, bemerkt, dass beide Sachverhalte nicht so leicht vergleichbar sind. Denn Alkohol schädigt vor allem den, der ihn konsumiert, und gefährdet (außer etwa im Straßenverkehr) in der Regel keine Unbeteiligten. Im Straßenverkehr ist nicht nur jeder für sich selbst verantwortlich. In § 1 der Straßenverkehrsordnung steht als Grundregel die ständige Vorsicht sowie die gegenseitige Rücksicht. Außerdem muss sich jeder Verkehrsteilnehmer so verhalten, dass kein anderer geschädigt, oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder belästigt wird. Andere Insassen nehmen auch am Straßenverkehr teil. Sollte der Fahrer darüber entscheiden können, wie sie zu schützen sind? Was, wenn von Passagieren unerlaubterweise Gespräche aufgezeichnet werden? An dieser Stelle treten einige schwierige Fragen auf.

Verkehrssicherung und Persönlichkeitsrecht

Wo die rechtlichen Grenzen zwischen Verkehrssicherung und dem Persönlichkeitsrecht der Insassen zu ziehen sind, ist stark umstritten. Eine Abwägung fällt schwer, weil Leben und Gesundheit betroffen werden können, das Kommunikationssystem aber fest verbaut ist. Und ob die Systeme nur die Daten übertragen können, die sie auch übertragen sollen, ist ohne umfassende technische Kenntnisse zur Funktionsweise nur schwer einschätzbar. Bei flächendeckendem Einsatz ist ein großes Missbrauchspotential denkbar.

Umut Schleyer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht in Berlin