Definition des Begriffs Auffahrunfall

Ein Auffahrunfall ist ein Unfall, bei dem zwei kollidierende Fahrzeuge in dieselbe Richtung zeigen. Dabei trifft das hintere Fahrzeug (das Fahrzeug des Auffahrenden) in die Rückseite des vorderen Fahrzeugs.

Wer hat Schuld, wer muss zahlen?

Laut eines weit verbreiteten Irrglaubens hat bei einem Auffahrunfall immer der hintere Fahrer Schuld. Auch wenn das häufig der Fall ist, ist das längst nicht immer so. Dass ein Auffahrunfall geschieht, kann nämlich verschiedene Gründe haben. Wer Schuld hat, ist nicht immer offensichtlich und hängt von der konkreten Sachlage ab. Es gibt sowohl Regeln, die den hinteren Fahrer verpflichten, als auch solche, die den vorderen Fahrer in die Pflicht nehmen.

Die Regeln der StVO

Im Straßenverkehr ist immer Vorsicht und Rücksicht geboten (§ 1 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO)). Dieser Grundsatz ist in präziseren Vorschriften genauer ausgeformt. Die wichtigsten Vorschriften, die bei Auffahrunfällen zu nennen sind, befinden sich in § 4 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO):

Satz 1: „Der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug muss in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter diesem gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. Satz 2: Wer vorausfährt, darf nicht ohne zwingenden Grund stark bremsen.“

Der Sicherheitsabstand

§ 4 Satz 1 StVO verpflichtet jeden, der hinter einem anderen Fahrzeug fährt. Derjenige muss einen angemessenen Sicherheitsabstand halten. Wie groß der Abstand sein muss, richtet sich nach allen Umständen, die die Gefahrenlage und das Bremsverhalten beeinflussen können. Dazu zählen Umwelteinflüsse wie die Sichtweite, die Steigung oder die Haftung der Reifen auf dem Asphalt, aber auch das Gewicht des Fahrzeugs und die Reaktionszeit des Fahrers. Die Faustformel „halber Tacho Abstand“ ist weit verbreitet: Bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h sollen demnach 25 Meter, bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h 50 Meter Abstand gehalten werden.

Viele Auffahrunfälle passieren, weil der Sicherheitsabstand nicht eingehalten wird. Gerade auf der Autobahn kann das verheerende Konsequenzen haben. Laut statistischem Bundesamt war im Jahr 2017 bei 14 Prozent aller Unfälle die Ursache ungenügender Sicherheitsabstand.

Der Anscheinsbeweis

Manchmal lassen sich die konkreten Umstände eines Unfalls nicht ermitteln. Bestimmte Vorgänge sind aber bei bestimmten Arten von Unfällen typisch. Sachkundige sprechen dabei von „typischen Geschehensabläufen“. Diese Unfälle laufen so oft auf die gleiche Art und Weise ab, dass ein bestimmter Sachverhalt vermutet wird, bis das Gegenteil bewiesen ist. Das wird auch „Anscheinsbeweis“ oder „Beweis des ersten Anscheins“ genannt. Im Hinblick auf einen typischen Auffahrunfall heißt das:

Es wird vermutet, dass der Auffahrende entweder mit zu geringem Abstand (§ 4 Abs. 1 StVO), zu schnell (§ 3 Abs. 1 StVO) oder unaufmerksam (§ 1 StVO) gefahren ist (Ähnlich entschied das Kammergericht Berlin mit Beschluss vom 20. November 2013, Az.: 22 U 72/13, Rn. 7).

Entkräftung des Anscheinsbeweises

Wenn der Auffahrende nachweisen kann, dass der vordere Fahrer zum Beispiel die Spur kurz vor dem Unfall gewechselt hat, ist der Beweis des ersten Anscheins entkräftet, denn dann handelt es sich nicht mehr um eine typische Auffahrsituation. Dann spricht die Sachlage eher dafür, dass der Spurwechsler voll haftet, denn wer die Spur wechselt, hat sicherzustellen, dass dadurch niemand gefährdet wird (§ 7 Abs. 5 StVO). Lesen Sie dazu hier mehr.

Bremsen? nicht ohne Grund!

§ 4 Satz 2 StVO verpflichtet jeden, der vor einem anderen Fahrzeug fährt. Derjenige darf nicht ohne zwingenden Grund stark abbremsen. Hier stellt sich sofort eine Frage: Was ist ein zwingender Grund?

Weil die Regelung nicht präziser ist, mussten sich schon viele Gerichte mit der Frage beschäftigen, was ein zwingender Grund ist. Auf jeden Fall ist anerkannt, dass ein zwingender Grund dann vorliegt, wenn plötzlich Fußgänger (zum Beispiel spielende Kinder) auf die Straße rennen. Aber auch hier ist Vorsicht geboten: Hätte der vordere Fahrer damit rechnen müssen, dass an dieser Stelle Kinder auf die Straße rennen, dann hätte er schon vorher die Geschwindigkeit anpassen müssen.

Auffahrunfälle wegen Tieren

Bei Tieren muss man zwischen Groß- und Kleintieren unterscheiden. Wer wegen kleiner Tiere wie Tauben, Enten, Eichhörnchen oder Igel stark abbremst, und dadurch zu einem Auffahrunfall beiträgt, haftet regelmäßig für 25-75% des entstandenen Schadens. Für kleine Tiere sollte man – so hart das klingt – nicht stark abbremsen, hier ist die Gefahr für Fahrer und andere Verkehrsbeteiligte zu groß. Bei großen Tieren wie einem Hirsch sollte man bremsen, denn große, schwere Tiere können bei einem Aufprall durch die Windschutzscheibe brechen und Insassen schwer verletzen.

Zum Unfall mit Tieren haben wir hier einen weiteren Artikel.

Auf keinen Fall ist ein „zwingender Grund“ darin zu sehen, dass jemand einen aufdringlichen Drängler disziplinieren möchte und deshalb stark bremst.

Fazit

Zwar kann der Auffahrende vollumfänglich haften, und das ist bei einem typischen Auffahrunfall regelmäßig der Fall. Die Haftung kann aber je nach den Umständen zwischen den Beteiligten verteilt werden. Die Haftungsverteilung wird dabei regelmäßig ziemlich grob festgelegt: 100:0, 80:20, 75:25, 67:33 oder 50:50.

Je nach Situation kann die Haftung entweder schnell geklärt werden, oder kaum aufzuklären sein. Komplexere Fälle sind zum Beispiel Kettenauffahrunfälle (Auffahrunfälle mit mehreren Fahrzeugen). Hier lässt sich im Nachhinein kaum aufklären, welches Fahrzeug zuerst in welches kollidiert ist, und ob ein Fahrzeug in ein anderes geschoben wurde oder nicht.

Faktoren, die die Haftung beeinflussen können, sind unter anderem folgende:

  • Steht, bremst oder fährt das vordere Fahrzeug?
  • Ändert jemand die Fahrtrichtung?
  • Gibt es Gründe für ein Abbremsen oder Einlenken?
  • Hat jemand überholt oder die Spur gewechselt?
  • Ist mit Verhalten von Verkehrsteilnehmern oder Tieren zu rechnen?

Umut Schleyer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht in Berlin