Am 22. Mai 2019 hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil festgestellt, welche Indizien dazu geeignet sein können, von einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten bei Ebay-Abbruchfällen auszugehen. Das Urteil schafft mehr Rechtssicherheit für Käufer und Verkäufer. Es ging um das bekannte Thema „Abbruchjäger„. Auf der einen Seite gibt es viele Verkäufer bei EBAY, die eine Auktion einfach plötzlich abbrechen und die Ware einem Interessenten außerhalb von EBAY verkaufen, so dass so gut wie keine Gebühren anfallen. Auf der anderen Seite gibt es viele Bieter, die mitbieten, in der Hoffnung, dass die Auktion gering ausläuft oder bei einem sehr niedrigen Betrag abgebrochen wird.

Die Entscheidung hat folgenden rechtlichen Hintergrund:

Auf der Verkaufsplattform Ebay stellen jeden Tag etliche Verkäufer Angebote zum Kauf ihrer Sachen online. Diese Angebote sind als bindende Angebote im Sinne des § 145 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zu verstehen. Ob sich der Verkäufer rechtlich binden möchte, ergibt sich nämlich bei Auslegung einer Erklärung (also auch bei einem Ebay-Angebot) aus allen Umständen. Zu den Umständen gehört auch, dass sich jeder, der sich auf Ebay anmeldet, mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von Ebay einverstanden erklärt.

In den AGB befindet sich folgende Klausel:

[§ 6 Nr. 2 AGB*]Stellt ein Verkäufer mittels der eBay-Dienste einen Artikel im Auktions- oder Festpreisformat ein, so gibt er ein verbindliches Angebot zum Abschluss eines Vertrags über diesen Artikel ab. Dabei bestimmt er einen Start- bzw. Festpreis und eine Frist, binnen derer das Angebot angenommen werden kann (Angebotsdauer). Legt der Verkäufer beim Auktionsformat einen Mindestpreis fest, so steht das Angebot unter der aufschiebenden Bedingung, dass der Mindestpreis erreicht wird.“

Was hat das Angebot zur Folge?

Die Folge eines verbindlichen Angebots ist zunächst ganz simpel: Sobald jemand das Angebot annimmt, entsteht gemäß § 150 Satz 1 BGB ein Vertrag. Dabei handelt es sich um einen Kaufvertrag im Sinne des § 433 BGB.

Bei Ebay gibt es zwei verschiedene Arten, ein solches Angebot anzunehmen: Bei Festpreisartikeln gibt es die Möglichkeit des Sofortkaufs (§ 6 Nr. 4 AGB*), bei Auktionen wird der Höchstbietende bei Ablauf der Angebotsdauer Vertragspartner (§ 6 Nr. 5 AGB*).

Abbruch eines Angebots

Es gibt auch die Möglichkeit, ein Angebot vorzeitig abzubrechen. Gemäß § 6 Nr. 6 AGB* kommt auch dann ein Vertrag zustande, wenn nicht besondere Gründe für einen Abbruch vorliegen. Ohne das zu wissen brechen viele Käufer das Angebot ab, wenn die Gebote für eine Sache zu gering ausfallen. Das machen sich manche Käufer zunutze: Die sogenannten Abbruchjäger bieten für viele Sachen einen sehr geringen Kaufpreis, und hoffen darauf, dass der Verkäufer die Transaktion abbricht. Das tun sie nur, um dann Schadensersatz aus dem nicht erfüllten Vertrag verlangen zu können, so lautet jedenfalls der Vorwurf vieler Verkäufer. 

Ist das rechtsmissbräuchlich?

Grundsätzlich gilt: Wer vertragsbrüchig wird (zum Beispiel indem er den Vertrag nicht erfüllt), und seinem Vertragspartner dadurch einen Schaden hervorruft, ist ihm zum Schadensersatz verpflichtet. Hier also der Verkäufer. In der Regel ist die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs auch nicht rechtsmissbräuchlich. Ein Rechtsmissbrauch liegt aber auf jeden Fall dann vor, wenn klar ersichtlich ist, dass es dem Käufer nur auf die Erlangung des Schadensersatzes ankam. Aber an dieser Stelle gibt es oft Schwierigkeiten: Viele Käufer wollen auch nur Schnäppchen machen, und würden die Kaufsache gerne haben. Wenn ein Schnäppchenjäger Schadensersatz verlangt, weil der Verkäufer grundlos eine Auktion abbricht, dann ist das auch sein gutes Recht. Wie unterscheidet man also Abbruchjäger von Schnäppchenjägern? Wie oft der Vertragspartner aus abgebrochenen Transaktionen Profit geschlagen hat, lässt sich praktisch nicht herausfinden. Das stellt für Opfer von Abbruchjägern ein großes Problem dar. Der Vertrag besteht, sie wurden vertragsbrüchig, und sind zunächst zur Zahlung verpflichtet.

Das Urteil: Wer ist Abbruchjäger, wer nicht?

Zu Beginn des Urteils stellt der Bundesgerichtshof zurückhaltend fest, dass keine abstrakten, verallgemeinerungsfähigen Kriterien zu der Frage aufgestellt werden können, wer Abbruchjäger ist und wer nicht. Stattdessen müsse der Tatrichter im konkreten Einzelfall feststellen, ob genügend Indizien für eine solche Feststellung vorliegen.

Welche Indizien genügen nicht?

Allein die Tatsache, dass jemand auf viele Kaufsachen gleichzeitig bietet, und regelmäßig einen sehr geringen Maximalkaufpreis wählt, bedeutet nicht automatisch, dass derjenige ein Abbruchjäger ist. Durch ein geringes Mindestgebot schafft der Verkäufer selbst das Risiko, dass seine Waren unter Wert verkauft werden. Die Menge an getätigten Käufen ist also noch kein Beweis. Auch die Tatsache, dass jemand auf Ebay unter mehreren Pseudonymen tätig ist, ist nicht ausschlaggebend. Dass jemand den Schadensersatzanspruch besonders schnell oder langsam geltend macht, ist grundsätzlich auch nicht relevant. Und dass der Käufer keine persönliche Verwendung der Sachen beabsichtigt, bleibt auch außer Betracht. Denn er könnte sie auch vermieten, verleihen, verkaufen, verpachten, verschenken, oder anderweitig von ihnen Gebrauch machen.

Was kann ausschlaggebend sein?

Bestimmte Konstellationen können auf einen Rechtsmissbrauch hinweisen: Wenn jemand selbst an einer Auktion nicht mitbietet, sich aber von einem Mitbietenden eventuelle Schadensersatzansprüche abtreten lässt, und diese erst dann geltend macht, wenn davon auszugehen ist, dass die Sache bereits verkauft ist, dann kann ein Missbrauch vorliegen. Ein weiteres Indiz kann eine hohe Zahl an Auktionen sein, die abgebrochen wurden. In solchen Fällen kann es sein, dass den Käufer eine „sekundäre Darlegungslast“ trifft. Das heißt, dass er als Kläger nun nachweisen muss, dass keine Umstände vorliegen, die ein rechtsmissbräuchliches Verhalten begründen. Kommt er dem nicht nach, zum Beispiel, weil er nicht darlegt, dass er in anderen Fällen des Vertragsabbruchs Waren abgenommen hat, und Abbruchfälle keinen Großteil seiner Auktionen ausmachen, dann muss das Gericht gegebenenfalls davon ausgehen, dass die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen rechtsmissbräuchlich ist.

Entscheidung im konkreten Fall

Im konkreten Fall war dem Gericht bekannt, dass der Käufer in etwa 100 Fällen Schadensersatzansprüche geltend gemacht hat. Allerdings konnte er nachweisen, dass er an etwa 14.000 Auktionen mit einem Gesamtbetrag teilnahm, und die Kaufsachen, für die er bot, tatsächlich entgegennahm. In einigen Fällen hat er sich sogar mit Verkäufern zu einem höheren Preis als dem Auktionspreis verglichen, um die Sache tatsächlich zu erhalten. Die 100 Abbruchfälle sind also im Vergleich zu den vielen anderen gelungenen Transaktionen ein Tropfen auf dem heißen Stein. Der BGH ging demnach davon aus, dass es sich bei dem Käufer um einen Schnäppchenjäger und nicht um einen Abbruchjäger handelte. Er verurteilte den Verkäufer daher zur Zahlung des Schadensersatzes.

Abschließend stellt der BGH Folgendes fest:

„[Hierdurch] wird der Internet-Verkäufer auch nicht rechtlos gestellt. [Er] hat es vielmehr selbst in der Hand, […] nicht zu einem […] ungünstigen Preis zu verkaufen, indem er einen Mindestpreis festsetzt und er es unterlässt, die Internetauktion unberechtigt vorzeitig abzubrechen. “

*Stand der Allgemeinen Geschäftsbedingungen: 11.07.2019

Umut Schleyer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht in Berlin