LG Bonn, Urteil vom 02.10.2008 zum Aktenzeichen: 8 S 95/08

Leitsatz

Rechnet ein Verkehrsunfallgeschädigter auf Gutachtenbasis fiktive Reparaturkosten einer markengebundenen Fachwerkstatt ab und benennt die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung eine andere Fachwerkstatt mit geringeren Kosten, stellt dies keine gleichwertige Reparaturmöglichkeit dar, sofern die benannte Werkstatt mit der Versicherung eine Vereinbarung getroffen hat, auf Grund derer denjenigen Kunden, für deren Reparaturkosten die Versicherung einzustehen hat, Sonderkonditionen eingeräumt werden, die gegenüber regulären Stundensätzen markengebundener Fachwerkstätten günstiger sind.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 25.04.2008 verkündete Urteil des Amtsgerichts Siegburg – 116 C 566/07 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 10.01.2007 geltend, bei dem ihr Fahrzeug, ein G, beschädigt wurde und für dessen Folgen die Beklagte unstreitig allein einzustehen hat.

Gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteils Bezug genommen und von der Darstellung eines Tatbestandes weitgehend abgesehen.

Das Amtsgericht hat der Klage unter Zurückweisung im Übrigen in Höhe von 160,40 Euro nebst Nebenforderungen stattgegeben und die Berufung gegen das Urteil zugelassen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Klägerin könne nur die fiktiven Reparaturkosten geltend machen, hierbei aber die durch ein von ihr eingeholtes Sachverständigengutachten ausgewiesenen mittleren Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zu Grunde legen, ohne dass sie sich hierbei auf die durch die Beklagte vorgetragene kostengünstigere G Werkstatt in C verweisen lassen müsse.

Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren, die Klage abzuweisen, weiter verfolgt. Zur Begründung führt sie aus, die Klägerin müsse sich bei ihrer fiktiven Abrechnung auf die Stundenverrechnungssätze der Firma Autohaus T in C verweisen lassen. Die Klägerin hätte ohne nennenswerte Nachteile ihr Fahrzeug zu den von der Beklagten genannten günstigeren Stundenverrechnungssätzen reparieren lassen können. Die Werkstatt sei vom Wohnort der Klägerin auch mühelos erreichbar. Zudem entstehe ihr durch die Entfernung kein Nachteil, da die Werkstatt der Firma Autohaus T über einen kostenloses Bring- und Abholservice verfüge, was die Klägerin auch nicht rechtzeitig bestritten habe. Daher gebiete es die der Klägerin obliegende Schadensminderungspflicht, ihrer Abrechnung die günstigeren Stundenverrechnungssätze zugrunde zu legen.

Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens beantragt die Beklagte, unter teilweiser Abänderung des Urteils des AG Siegburg vom 25.04.2008, Az.: 116 C 566/07 die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages und meint, sie müsse sich nicht auf eine Reparatur bei der Firma Autohaus T verweisen lassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze sowie die zu den Akten gereichten Urkunden und Unterlagen Bezug genommen.

II. Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Klägerin steht aufgrund des Verkehrsunfalls vom 10.01.2007 der vom Amtsgericht ausgeurteilte Betrag in Höhe von 160,40 Euro gemäß §§ 823 Abs. 1 BGB, 7 Abs. 1 StVG, 3 Nr. 1 PflVG zu.

Dass die Beklagte der Klägerin gegenüber für die Folgen des Unfallereignisses in vollem Umfang einzustehen haben, ist unstreitig. Uneinigkeit besteht zwischen den Parteien nur darüber, ob die Beklagte bei der von der Klägerin vorgenommenen Abrechnung auf Gutachtenbasis auch zum Ersatz der in dem Gutachten des Herrn Dipl.-Ing. L ausgewiesenen Arbeitskosten für Karosserie- und Lackierarbeiten, denen ein Stundenverrechnungssatz von 83,00 €, bzw. 85,00 Euro sowie ein Lackmaterialaufschlag von 35 % zugrunde liegt, verpflichtet ist oder ob deren Ersatzpflicht sich der Höhe nach auf die Stundenverrechnungssätze der Autohaus T (Arbeitslohn Karosserie: 75,00 €/ Arbeitslohn Lackierung incl. Lackmaterialaufschlag: 100,00 €) beschränkt.

Art und Umfang des zu leistenden Ersatzes bestimmen sich nach den Vorschriften der §§ 249 ff. BGB. Das schadensersatzrechtliche Ziel der Restitution beschränkt sich nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht auf eine Wiederherstellung der beschädigten Sache; es besteht vielmehr in umfassender Weise darin, einen Zustand herzustellen, der wirtschaftlich gesehen der ohne das Schadensereignis bestehenden hypothetischen Lage entspricht (vgl. BGH, NJW 2007, 67, 68). Dabei stehen dem Geschädigten bei der Beschädigung eines Kraftfahrzeugs nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Allgemeinen zwei Wege der Naturalrestitution offen, nämlich einerseits die Reparatur des Unfallfahrzeugs, andererseits die Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs (vgl. BGH, NJW 2005, 2541). Sieht der Geschädigte – wie vorliegend – davon ab, eine Ersatzbeschaffung vorzunehmen, so kann er gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB Ersatz der objektiv erforderlichen Kosten einer fiktiven Reparatur geltend machen. Dabei hat der Geschädigte nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich Anspruch auf Ersatz der in einer markengebundenen Vertragswerkstatt anfallenden Reparaturkosten unabhängig davon, ob er den Wagen tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt (vgl. BGH NJW 2003, 2086).

Jedoch ist der Geschädigte unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Dabei genügt aber im Allgemeinen, dass er den Schaden auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens berechnet, sofern dieses Gutachten hinreichend ausführlich ist und das Bemühen erkennen lässt, dem konkreten Schadensfall vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Betrachters gerecht zu werden. Denn bei dem Bemühen um eine wirtschaftlich vernünftige Objektivierung des Restitutionsbedarfs im Rahmen von § 249 Abs. 2 S. 1 BGB darf nicht das Grundanliegen dieser Vorschrift aus den Augen verloren werden, dass dem Geschädigten bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommen soll (vgl. BGH NJW 2003, 2086, 2087). Vorliegend bestreiten die Beklagten nicht, dass die von Dipl.-Ing. L im Schadensgutachten vom 15.01.2007 zugrunde gelegten Stundenverrechnungssätze den bei einer Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt anfallenden Lohnkosten entsprechen, sondern berufen sich lediglich darauf, dass die Firma Autohaus T aufgrund einer mit der Beklagten bestehenden Vereinbarung Kunden, für deren Reparaturkosten die Beklagte einzutreten hat, günstigere Stundensätze berechnet.

Den Beklagten ist dabei im Grundsatz zuzugeben, dass der Geschädigte, der mühelos eine ohne weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit hat, sich auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf diese verweisen lassen muss (vgl. BGH, NJW 2003, 2086, 2087). Von einer entsprechenden Konstellation kann indes im Streitfall nicht ausgegangen werden.

Die Kammer verkennt dabei nicht, dass es sich bei der Firma Autohaus T um eine markengebundene Fachwerkstatt handelt, so dass es auch auf die in der landgerichtlichen Rechtsprechung umstrittene Frage nicht ankommt, ob in denjenigen Fällen, in denen der Geschädigte auf Gutachtenbasis fiktiv abrechnet und ihm vom Schädiger bzw. dessen Versicherer konkret ohne Weiteres zugängliche Möglichkeiten einer technisch einwandfreien und günstigeren Reparatur in einer nicht markengebundenen – freien – Fachwerkstatt aufgezeigt werden, der Geschädigte sich auf diese Reparaturmöglichkeiten verweisen lassen muss (so etwa LG Potsdam, NJW-Spezial 2008, 107; LG Berlin, NJW-RR 2007, 20, 21; LG Heidelberg, Urteil vom 25.04.2006 – 2 S 55/05, zitiert nach juris; a.A.: LG Bonn, Urteil vom 05.03.2008, 5 S 168/07; LG Bonn, Urteil vom 15.05.2007, 8 S 8/07; LG Mainz, Urteil vom 31.05.2006, 3 S 15/06, zitiert nach juris; LG Trier, Urteil vom 20.09.2005, 1 S 12/05, BeckRS: 2006 Nr. 02543; AG Aachen, Urteil vom 14.06.2005, 5 C 81/05, BeckRS: 2005 Nr. 09994).

Bei der dem Kläger seitens der Beklagten aufgezeigten Reparaturmöglichkeit bei der Firma Autohaus T handelt es sich aber bereits deshalb nicht um eine gleichwertige Reparaturmöglichkeit, auf die der Kläger sich auch bei tatsächlicher Durchführung der Reparatur verweisen lassen müsste, weil die Firma Autohaus T mit der Beklagten durch eine Vereinbarung verbunden ist, aufgrund derer denjenigen Kunden, für deren Reparaturkosten die Beklagte einzustehen hat, Sonderkonditionen angeboten werden, die gegenüber den regulären Stundensätzen markengebundener Fachwerkstätten günstiger sind. Dies widerspräche nach Auffassung der Kammer der Intention des § 249 Abs. 2 BGB. Die Vorschrift ermöglicht dem Geschädigten nämlich durch die fiktive Abrechnung der Reparaturkosten einen Schadensausgleich, ohne dass dieser gehalten ist, dem Schädiger das verletzte Rechtsgut zur Naturalrestitution anzuvertrauen (vgl. Heinrichs in: Palandt, BGB, 67. Aufl., § 249 Rn. 5; Schiemann in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2005, § 249 Rn. 210). Das Grundanliegen dieser Vorschrift, dem Geschädigten die Möglichkeit zu eröffnen, die Schadensbehebung in eigener Regie durchzuführen, darf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch bei dem Bemühen um eine wirtschaftlich vernünftige Objektivierung des Restitutionsbedarfs im Rahmen von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht aus den Augen verloren werden (vgl. BGH, NJW 2003, 2086). Der Verweis des Geschädigten auf eine wirtschaftlich mit der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung gerade des Schädigers verbundene Fachwerkstatt entwertet das Recht des Geschädigten, die Reparatur zu üblichen Konditionen in Eigenregie vornehmen zu können. Zudem muss er aufgrund der wirtschaftlichen Verbundenheit der Werkstatt mit dem beklagten Versicherer befürchten – mag sich die Befürchtung in concreto auch nicht realisieren -, dass dieser bei der Reparatur auch (nachvollziehbare) Interessen des Schädigers wahrnimmt, den Schaden möglichst gering zu halten (i.E. ebenso: AG Nürtingen, NJW 2007, 1143 f.; LG Bochum, Urteil vom 19.10.2007, 5 S 168/07; LG Bonn, Urteil vom 20.08.2008, 5 S 96/08; a.A. LG Köln, Urteil vom 29.01.2008, 11 S 1/07). Im übrigen kann der objektiv erforderliche Restitutionsbedarf schwerlich von der Verhandlungsmacht der regulierenden Versicherung gegenüber einzelnen Vertragswerkstätten abhängen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.

Die Kammer lässt die Revision zu, weil angesichts divergierender Entscheidungen der Instanzgerichte die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO).

Streitwert des Berufungsverfahrens: bis 300 Euro