1. Definition des Begriffs Nothilfe

Als Nothilfe wird eine Konstellation bezeichnet, in welcher eine Person eine gegenwärtige rechtswidrige Gefahr von einer anderen im Wege der Verteidigung abwendet.

2. Rechtswidrigkeit und Rechtfertigungsgründe

Die Nothilfe, auch Notwehrhilfe genannt, ist ein Begriff, dem vor allem im Strafrecht Bedeutung zukommt. Im Zivilrecht und im Recht der Ordnungswidrigkeiten wird er jedoch auch gelegentlich relevant. Die Nothilfe ist ein so genannter Rechtfertigungstatbestand. Das bedeutet, dass Taten, die im Rahmen dieser Vorschrift begangen werden, nicht rechtswidrig sind. Eine in Notwehr handelnde Person handelt also nicht rechtswidrig, wie in § 32 Abs. 1 StGB, in § 15 OWiG und § 228 BGB beschrieben:

Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Das Strafrecht setzt für die Strafbarkeit einer Tat die Rechtswidrigkeit derselben voraus. Im Strafrecht kann eine Handlung, die durch Notwehr geboten ist, daher nicht bestraft werden. Doch nicht nur das Strafrecht setzt Rechtswidrigkeit voraus. Auch im Zivilrecht bestehen einige Ansprüche nur dann, wenn der Anspruchsgegner rechtswidrig handelt. Rechtfertigungstatbestände wirken rechtsgebietsübergreifend, denn eine Person muss sich darauf verlassen können dass ihre Handlung entweder von der Gesamtrechtsordnung missbilligt wird oder nicht. Im Strafrecht können also auch zivilrechtliche Rechtfertigungstatbestände wie § 228 BGB oder § 904 BGB greifen. Das ist bei Delikten gegen das Eigentum wie etwa der Sachbeschädigung nach § 303 StGB relevant. Anders herum kann sich auch die Nothilfe aus dem Strafrecht im Zivilrecht auswirken.

Ein Beispiel hierzu:
Eine Person geht im Park spazieren und wird von einem Hund angegriffen. Sie reißt aus einem nahe stehenden Zaun ein Stück Holz heraus und schlägt damit den Hund, um ihn abzuwehren. Daraufhin zieht sich der Hund zurück weil er verletzt ist. Der Zaun ist beschädigt.

Der Aggressivnotstand im Strafrecht

Strafrechtlich gesehen ist die Beschädigung des Zaunes nach § 904 BGB gerechtfertigt. In solchen Konstellationen wird von einem Aggressivnotstand gesprochen. Gemäß § 904 BGB ist der Eigentümer einer Sache (hier: des Zaunes) nicht dazu berechtigt, die Einwirkung eines anderen (des Spaziergängers) auf die Sache zu verbieten, wenn die Einwirkung (hier: die Beschädigung des Zaunes) zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr (Angriff durch den Hund) notwendig und der drohende Schaden (Körperverletzung durch Bisswunden) unverhältnismäßig hoch ist.

Der Defensivnotstand im Strafrecht

Die Verletzung des Tieres hingegen ist durch § 228 BGB gerechtfertigt, man spricht dabei von dem Defensivnotstand. Laut § 228 BGB handelt nicht widerrechtlich, wer eine fremde Sache (hier: der Hund, welcher keine Sache ist, gemäß § 90a BGB werden Tiere jedoch im Zivilrecht grundsätzlich behandelt wie Sachen. Das gilt nur, sofern Gesetze, insbesondere Tierschutzgesetze, nicht etwas anderes vorschreiben) beschädigt oder zerstört (hier: verletzt, entsprechende Anwendung nach § 90a BGB), um eine durch sie drohende Gefahr (etwa Wunden) von sich oder einem anderen abzuwenden. Weiter wird vorausgesetzt, dass die Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zur Gefahr steht.

Rechtfertigungsgründe im Zivilrecht

Darüber hinaus entfalten Rechtfertigungsgründe, die ein strafrechtliches Belangen ausschließen, auch im Zivilrecht Wirkung. Es gibt beispielsweise deliktsrechtliche Ansprüche, die der Eigentümer einer Sache grundsätzlich geltend machen kann wenn diese beschädigt wird. Nach § 823 Abs. 1 BGB wird so das Eigentum geschützt. Dieser Anspruch setzt voraus, dass eines der darin genannten Rechte widerrechtlich verletzt wurde. Ist die Sache des Eigentümers (oder wie im angeführten Beispiel das Tier) nicht widerrechtlich verletzt worden, scheidet ein Schadensersatzanspruch aus dieser Norm aus.

Für Interessierte findet sich hier eine (nicht abschließende) Liste von Rechtfertigungsgründen:

  • § 32 StGB – die (strafrechtliche)Notwehr und Nothilfe
  • § 34 StGB – der rechtfertigende Notstand
  • § 227 BGB – die (zivilrechtliche) Notwehr und Notwehrhilfe
  • § 228 BGB – der (zivilrechtliche) Defensivnotstand
  • § 904 BGB – der (zivilrechtliche) Aggressivnotstand
  • § 15 OwiGNotwehr und Nothilfe im Recht der Ordnungswidrigkeiten
  • § 16 OWiGRechtfertigender Notstand im Recht der Ordnungswidrigkeiten
  • § 127 StPO – das (strafprozessrechtliche) Festnahmerecht
  • Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes – das verfassungsrechtliche Widerstandsrecht

3. Besonderheiten der Notwehr

Die Notwehr (und die in § 32 Abs. 2 Alt. 2 StGB geregelte Nothilfe) unterscheiden sich von den anderen Rechtfertigungstatbeständen vor allem in den folgenden zwei Punkten:

a) Die Notwehr bzw. Nothilfe muss sich gegen Angriffe richten, die durch Menschen verursacht werden

Angriffe im Sinne des Notwehrrechts setzen immer menschliches Verhalten voraus. Ein solcher Angriff besteht also nicht, wenn Tiere aus eigener Motivation angreifen, wenn Naturereignisse wie Gerölllawinen eine Gefahr darstellen oder wenn ungelenkte Maschinen für Menschen Gefahren darstellen liegt auch kein Angriff vor.

b) Die Notwehr bzw. Nothilfe hat grundsätzlich keine Verhältnismäßigkeitsprüfung

Anders als Notstandstatbestände es voraussetzen, muss bei Ausübung der Notwehr dem Grunde nach nicht darauf Rücksicht genommen werden, ob der entstehende Schaden außer Verhältnis zur Gefahr steht. Also darf die Verteidigung den Angreifer grundsätzlich erheblich stärker treffen als der Angriff den Verteidiger getroffen hätte. Allerdings sind auch Nothilfe und Notwehr Einschränkungen unterworfen, nämlich wenn ein besonders krasses Missverhältnis zwischen drohendem Schaden und dem Angriff besteht. Beispielsweise besteht zwar ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff wenn von einem Baum Kirschen geklaut werden, Schusswaffengebrauch zum Unterbinden dieses Angriffs wäre jedoch unzulässig.

Missbrauch des Notwehrrechts

Wer bewusst jemanden provoziert und damit einen Angriff selbst herbeiführt, kann sich nicht vollumfänglich auf das Notwehr- und Nothilferecht berufen und macht sich unter Umständen strafbar wenn er es ausübt. Der Rechtsmissbrauch ist eine Figur, die nicht nur im strafrechtlichen Kontext auftritt, sondern auch im Zivilrecht. Grundsätzlich darf kein Recht missbräuchlich ausgeübt werden, daher dürfen beispielsweise auch keine Sachen eingefordert werden, wenn sie ohnehin kurz darauf wieder zurückgegeben werden müssen (die so genannte „dolo-agit“-Einrede). Wer einen Angriff provoziert um sich danach auf das Notwehrrecht berufen zu können, darf es nur unter sehr starken Einschränkungen ausüben, da er in erheblich geringerem Maße schutzwürdig ist als jemand, der ohne eigenes Verschulden angegriffen wird, auch weil sich ein Provokant besser auf einen bevorstehenden Angriff vorbereiten kann.

4. Voraussetzungen der Nothilfe

Die Voraussetzungen von Notwehr und Nothilfe sind sehr ähnlich. Sie unterscheiden sich nur dadurch, dass sich der Angriff nicht gegen den Verteidiger selbst sondern gegen einen Dritten richtet. Die folgenden Voraussetzungen müssen zur Rechtfertigung durch Notwehr oder Nothilfe stets vorhanden sein:

  • Eine Notwehr- bzw. Nothilfelage muss vorliegen
  • Diese besteht, wenn ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff besteht
  • Notwehr: Angriff richtet sich gegen Verteidiger
  • Nothilfe: Angriff richtet sich gegen Dritten
  • Die Notwehr- bzw. Nothilfehandlung muss erforderlich sein
    • Sie muss sich gegen den Angreifer richten
    • Sie muss den Angriff abwehren können
    • Sie muss von den gleich wirksamen und gleich sicheren das mildeste Mittel sein
  • Ein Verteidigungswille muss vorliegen
  • Notwehr und Nothilfe unterliegen sozialethischen Einschränkungen
    • Es darf (wie oben beschrieben) kein krasses Missverhältnis vorliegen
    • Die Notwehr oder Nothilfe darf nicht vom Verteidiger provoziert worden sein

Dieser Text wurde durch die Kanzlei Schleyer erstellt.