Schadensminderungspflicht nach Verkehrsunfall: Das Landgericht Saarbrücken hat sich mit  Urteil vom 07. Juni 2011 – 13 S 43/11 zur Verzögerung einer Schadensbegutachtung durch die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts geäußert und festgestellt, dass ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 S. 1 BGB in der Regel nicht angenommen werden kann, wenn der Geschädigte eines Verkehrsunfalls zunächst einen Anwalt mit der Wahrnehmung seiner Rechte beauftragt und sich dadurch die Einholung eines Schadensgutachtens verzögert.

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 03.02.2011 – 120 C 110/10 (05) – wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I. Der Kläger begehrt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 22.06.2009 in … ereignet hat und für den die Beklagten einstandspflichtig sind.

Bei dem Unfall wurde das geleaste Fahrzeug des Klägers beschädigt. Der Kläger setzte sich noch am Unfalltag mit seinen Prozessbevollmächtigten in Verbindung. Dabei wurde ein Termin zur Besprechung vereinbart. Nach diesem Besprechungstermin gab der Kläger ein Schadensgutachten in Auftrag, das am 30.06.2009 fertig gestellt und seinen Prozessbevollmächtigten am darauffolgenden Tag zur Verfügung gestellt wurde. Nach einer erneuten Rücksprache mit seinen Prozessbevollmächtigten erteilte der Kläger am 07.07.2009 den Auftrag zur Reparatur. Die Reparatur wurde am 04.08.2009 abgeschlossen und das Fahrzeug an den Kläger übergeben. Die Reparaturkosten beliefen sich auf 4.801,11 €. Die Beklagten haben den Schaden des Klägers bis auf einen Teil der von ihm geltend gemachten Nutzungsausfallentschädigung sowie einen Betrag von 44,98 € aus der Reparaturrechnung betreffend Reinigungskosten reguliert.

Der Kläger hat erstinstanzlich eine Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 42 Tagen x 35,- € abzüglich der bereits von den Beklagten erbrachten Zahlung in Höhe von 280,- € sowie die Kosten für Reinigungsarbeiten (44,98 €), mithin insgesamt 1.234,98 € nebst außergerichtlichen Anwaltskosten von 61,88 € sowie Verzugszinsen geltend gemacht.

Er hat behauptet, die unfallbedingte Reparatur seines Fahrzeuges habe so lange gedauert, da sich die Lieferung der dafür benötigten Seitenscheiben verzögert habe. Im Übrigen habe er zunächst einen Anwalt einschalten dürfen. Wenn dieser nicht sofort einen Termin vergeben könne, könne dies nicht zu seinen Lasten gehen. Die Kosten für die Reinigung seien zur Behebung des Unfallschadens an seinem Fahrzeug erforderlich gewesen, da sie im Zuge der Lackierung angefallen seien.

Die Beklagten haben eingewandt, die Reinigungskosten gehörten nicht zum ersatzfähigen Schaden. Eine über die im Schadensgutachten angegebene Reparaturdauer von 8 Tagen hinausgehende Nutzungsausfallentschädigung sei ebenfalls nicht geschuldet, weil der Reparaturauftrag erst am 07.07.2009 und damit verspätet erteilt worden sei. Es sei zumindest nicht nachgewiesen, dass die Seitenscheiben auch dann nicht lieferbar gewesen wären, wenn der Kläger zeitnah und unmittelbar nach der Besichtigung durch den Gutachter einen Reparaturauftrag erteilt hätte.

Mit Beschluss vom 16.09.2010 hat das Amtsgericht darauf hingewiesen, dass wegen der Reinigungskosten ein Gutachten eingeholt werden müsse. Darauf könne nur verzichtet werden, wenn die Parteien sich einigen, diese Schadensposition zu teilen. Mit Schriftsatz vom 28.09.2010 haben die klägerischen Prozessbevollmächtigten erklärt, dass sie mit der vom Gericht vorgeschlagenen hälftigen Teilung der Reinigungskosten einverstanden seien. Die Beklagtenvertreter haben durch Schriftsatz vom 08.10.2010 mitgeteilt, dass die Beklagtenseite der Auffassung sei, bereits dem Grunde nach keine weiteren Ansprüche aus dem Schadensereignis mehr leisten zu müssen. Sollte die weitere Beweiserhebung ergeben, dass ein weiterer Anspruch tatsächlich gegeben wäre, so könnte der Höhe nach entsprechend verfahren und eine Teilung der Kosten vorgenommen werden. Dies betreffe nur die Höhe, nicht auch den Grund.

Das Amtsgericht hat die Beklagten nach Durchführung einer Beweisaufnahme gesamtschuldnerisch zur Zahlung von 932,49 € nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe seit dem 24.10.2009 verurteilt. Es ist davon ausgegangen, dass sich die Parteien hinsichtlich der Reinigungskosten auf die Hälfte des eingeklagten Betrages geeinigt haben, so dass insoweit eine Beweisaufnahme nicht mehr erforderlich gewesen sei. Dem Kläger stehe darüber hinaus ein Anspruch auf 34 Tage Nutzungsausfall zu. Es sei der Beweis erbracht, dass es bei der Lieferung der Seitenscheiben zu Verzögerungen gekommen sei, die der Kläger nicht zu vertreten habe. Er müsse jedoch für eine Verzögerung von 8 Tagen einstehen, weil zwischen Gutachtenerstattung und der Entscheidung über die Reparatur ein Zeitraum von 16 Tagen gelegen habe, obwohl hierfür 8 Tage ausgereicht hätten. Der Informationsaustausch mit dem Sachverständigen und dem Rechtsanwalt hätte auch fernmündlich erfolgen können. Dass ein Zeuge bekundet habe, die Seitenscheiben wären auch bei einer früheren Erteilung der Reparaturfreigabe nicht sofort lieferbar gewesen, ändere nichts an der eingetretenen Verzögerung, da nicht mehr endgültig zu klären sei, ob die Seitenscheiben bei einer früheren Erteilung des Reparaturauftrages früher geliefert worden wären.

Mit ihrer Berufung verfolgen die Beklagten die Abweisung der Klage weiter. Sie rügen, dass das Amtsgericht fehlerhaft eine Einigung der Parteien hinsichtlich der Reinigungskosten angenommen habe. Über den Grund, ob Reinigungskosten angefallen seien, habe Beweis erhoben werden müssen. Der Erstrichter habe auch die Grundsätze über die Beweislast verkannt. Der Kläger habe nicht den ihm obliegenden Nachweis erbracht, dass die Reparatur genauso lange gedauert hätte, wenn er den Reparaturauftrag rechtzeitig erteilt hätte. Das Amtsgericht hätte aber jedenfalls den gesamten Zeitraum zwischen Beauftragung des Gutachtens und der Erteilung des Reparaturauftrages abziehen müssen, weil nicht vorgetragen sei, warum dem Kläger eine Überlegungsfrist einzuräumen sei. Das Fahrzeug sei dringend reparaturbedürftig gewesen, so dass eine umgehende Beauftragung hätte erfolgen müssen.

II. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet. Das Urteil des Amtsgerichts erweist sich, soweit es angefochten worden ist, im Ergebnis als richtig (§ 513 Abs. 1 ZPO).

1. Zu Recht ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger aus den §§ 7 Abs. 1, 18 StVG iVm. § 115 Abs. 1 VVG gegenüber den Beklagten einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung geltend machen kann.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt auch der vorübergehende Verlust der Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs einen ersatzfähigen Schaden im Sinne der §§ 249 ff BGB dar, wenn der Geschädigte sich für die Zeit des Nutzungsausfalls keinen Ersatzwagen beschafft hat (st. Rspr.; vgl. BGHZ 40, 345, 347 ff; 56, 214, 215; BGH, Urteile vom 10.06.2008 – VI ZR 248/07, NJW-RR 2008, 1198; vom 10. März 2009 – VI ZR 211/08, NJW 2009, 1663; Urteil vom 14.04.2010 – VIII ZR 145/09, NJW 2010, 2426, jeweils mwN.). Dieser Nutzungsausfall ist nicht notwendiger Teil des am Kfz in Natur eingetretenen Schadens. Es handelt sich vielmehr um einen typischen, aber nicht notwendigen Folgeschaden, der weder überhaupt noch seiner Höhe nach von Anfang an fixiert ist. Er setzt neben dem Verlust der Gebrauchsmöglichkeit voraus, dass der Geschädigte ohne das schädigende Ereignis zur Nutzung des Fahrzeugs willens und fähig gewesen wäre (Nutzungswille und hypothetische Nutzungsmöglichkeit; st. Rspr.; vgl. BGHZ 45, 212, 219; 98, 212, 219 f.; BGH, Urteile vom 18.12.2007 – VI ZR 62/07, NJW 2008, 915; vom 10.03.2009 – VI ZR 211/08, VersR 2009, 697; vom 14.04.2010 aaO).

b) Nach diesen Grundsätzen steht dem Kläger grundsätzlich Anspruch auf Nutzungsentschädigung für die Zeit zwischen dem 22.06.2009 (Unfalltag) und dem 04.08.2009 (Tag der Abholung des reparierten Fahrzeugs), also für 42 Tage, zu. Denn er konnte – was zwischen den Parteien unstreitig ist – in diesem Zeitraum das Fahrzeug unfallbedingt nicht nutzen. Dabei spricht die Lebenserfahrung dafür, dass der Halter und Fahrer eines privat genutzten PKW diesen während eines unfallbedingten Ausfalls auch benutzt hätte (vgl. OLG Celle VersR 1973, 717; OLG Frankfurt DAR 1984, 318; OLG Köln, MDR 1999, 157; VersR 2000, 336; OLG Düsseldorf, Schaden-Praxis 2002, 171; DAR 2006, 269).

2. Das Amtsgericht hat zwar zutreffend erkannt, dass die Dauer des zu entschädigenden Nutzungsausfalls unter bestimmten Umständen beschränkt sein kann. Entgegen der Annahme des Erstrichters liegen die Voraussetzungen einer solchen Beschränkung im Streitfall aber nicht vor.

a) Regelmäßig ist für den Zeitraum einer Reparatur oder Ersatzbeschaffung Nutzungsausfallentschädigung zu leisten. Der Geschädigte ist mit Blick auf die Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 S. 1 BGB aber gehalten, die Schadensbehebung in angemessener Frist durchzuführen (BGH, Urteil vom 14.04.2010 aaO; Brandenburgisches OLG, Urteil vom 30.08.2007 – 12 U 60/07, juris; OLG Naumburg, NJW 2004, 235, 3191; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2008, 1711) und einen längeren Nutzungsausfall gegebenenfalls durch die Anschaffung eines Interimsfahrzeugs zu überbrücken (BGH, Urteile vom 10.03.2009, aaO mwN.; vom 14.04.2010 aaO.). Kommt er dem in zurechenbarer Weise nicht nach, muss er sich eine Kürzung oder sogar den Ausschluss seines Schadensersatzanspruchs gefallen lassen (vgl. nur OLG Düsseldorf, NJW-RR 2008, 1711; zum Verschuldensmaßstab des § 254 Abs. 2 BGB vgl. nur Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl., § 254 Rn. 1, 36 mwN.). Die Beweislast für einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht trägt nach allgemeinen Grundsätzen der Schädiger (vgl. nur BGH, Urteile vom 23.01.1979 – VI ZR 103/78, VersR 1979, 424; vom 29.09.1998 – VI ZR 296/97, VersR 1998, 1428; OLG Köln, MDR 1999, 157; Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl., § 254 Rn. 72 mwN.).

b) Ein Verstoß des Klägers gegen seine Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB ist nicht nachgewiesen. Das Amtsgericht überspannt die Anforderungen an einen Geschädigten, wenn es meint, dass der Kläger den Reparaturauftrag unter den hier vorliegenden Umständen innerhalb von 8 Tagen nach dem Unfallereignis hätte erteilen müssen.

aa) Ob ein Geschädigter die Schadensbehebung in angemessener Frist durchgeführt hat, hängt stets von den Umständen des Einzelfalles ab. Grundsätzlich ist aber davon auszugehen, dass dem Geschädigten nicht vorgehalten werden kann, wenn er zunächst einen Anwalt mit der Wahrnehmung seiner Rechte beauftragt und/oder ein Schadensgutachten bei einem außergerichtlichen Sachverständigen einholt. Die damit verbundenen Verzögerungen sind von dem Schädiger jedenfalls im üblichen zeitlichen Rahmen hinzunehmen (für die Schadensermittlung durch Einholung eines Gutachtens ebenso OLG Düsseldorf, DAR 2006, 269; Brandenburgisches OLG, Schaden-Praxis 2007, 361).

bb) Es begründet danach kein Mitverschulden iSd. § 254 Abs. 2 BGB, dass der Kläger zunächst einen Anwalt hinzugezogen und danach ein Schadensgutachten in Auftrag gegeben hat. Dies gilt vor allem deshalb, weil es sich hier nicht um das eigene Fahrzeug des Klägers, sondern um Eigentum eines Leasinggebers handelte. Der Kläger durfte daher schon zur Vermeidung etwaiger Auseinandersetzungen mit dem Leasinggeber zunächst die Hilfe eines Anwalts in Anspruch nehmen und den entstandenen Schaden verbindlich klären lassen. Auch die hierfür aufgewendete Zeit hält sich unter den hier gegebenen Umständen im Rahmen des Üblichen. Der Kläger hat noch am Unfalltag selbst, dem 22.06.2009, Kontakt mit einem Rechtsanwalt aufgenommen. Innerhalb von weiteren vier Werktagen fand ein Besprechungstermin mit dem Anwalt statt und ein Schadensgutachten wurde in Auftrag gegeben. Das Gutachten datiert auf den 30.06.2009, erreichte die Verfahrensbevollmächtigte des Klägers aber erst am darauffolgenden Tag, also dem 01.07.2009, und wurde an den Kläger weitergeleitet. Es fand darauf hin vor dem Wochenende (04.07./05.07.) eine erneute Rücksprache der Verfahrensbevollmächtigten mit dem Kläger statt, der am Dienstag der darauffolgenden Woche, dem 07.07.2009, den Reparaturauftrag erteilte. Dem Kläger kann insoweit auch nicht entgegengehalten werden, dass er nicht sofort nach Erhalt des Gutachtens den Reparaturauftrag erteilt hat. Denn dem Geschädigten ist zuzugestehen, dass er sich zunächst wegen des Ergebnisses der Schadensermittlung mit seinem Anwalt in Verbindung setzt und erst dann eine Entscheidung über den Weg der Schadensbeseitigung trifft (zur Überlegungsfrist des Geschädigten vgl. nur OLG Düsseldorf, NJW-RR 2008, 1711; Brandenburgisches OLG aaO; OLG Braunschweig, Schaden-Praxis 2000, 205).

cc) Der Anspruch des Klägers auf Entschädigung seines Nutzungsausfalls ist auch nicht dadurch beschränkt, dass es – wie vorliegend – durch die verzögerte Lieferung von Ersatzteilen zu einer verlängerten Reparaturzeit gekommen ist. Denn es ist anerkannt, dass der Geschädigte auch Nutzungsausfallentschädigung für eine lang andauernde Reparaturzeit erhält, die durch Schwierigkeiten bei der Ersatzteilbeschaffung durch die Reparaturwerkstatt bedingt ist (vgl. BGH, Urteil vom 02.03.1982 – VI ZR 35/80, VersR 1982, 548; OLG Düsseldorf, OLG-Report 1991, 10; OLG Köln, MDR 1999, 157). Dass eine andere Werkstatt die Ersatzteile vorrätig gehabt hätte, ist nicht dargetan.

c) Damit ergibt sich folgende Abrechnung der Nutzungsausfallentschädigung:

42 Tage x 35 € = 1.470,- €
bereits gezahlt:    280,- €
noch zu zahlen 1.190,- €

Steht dem Kläger aber ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 1.190,- € zu, erweist sich die Verurteilung der Beklagten im Umfang des amtsgerichtlichen Urteils als richtig, ohne dass es auf die weitergehende Frage ankommt, ob zwischen den Parteien eine vergleichsweise Regelung hinsichtlich der streitigen Reinigungskosten getroffen worden ist.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO iVm. § 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).