Die Vorsteuer ist ein steuerrechtlicher Begriff. Damit wird aber keine eigene Art von Steuer wie die Tabaksteuer, die Energiesteuer oder die Einkommenssteuer bezeichnet. Stattdessen handelt es sich um einen Begriff, der in engem Zusammenhang mit der Umsatzsteuer steht. Der Vorsteuerabzug ist deshalb auch im Umsatzsteuergesetz (UStG) geregelt. Um den Begriff der Vorsteuer zu verstehen, muss man zunächst die Grundlagen der Umsatzsteuer verstehen. Keine Angst: Was mit dem sperrigen Namen des „Allphasen-Netto-Umsatzsteuersystems mit Vorsteuerabzug“ bezeichnet wird, ist gar nicht so kompliziert, wie es sich anhört.

Grundlegendes zur Umsatzsteuer

Insgesamt sollen mit der Umsatzsteuer nicht Unternehmer, sondern Verbraucher belastet werden. Verbraucher profitieren nämlich von dem Mehrwert des Produkts, der durch die Arbeit des Unternehmers entsteht. Deswegen wird die Umsatzsteuer auch als „Mehrwertsteuer“ bezeichnet. Nur der unternehmerische Mehrwert, also der Unterschied zwischen Eingangsleistung und Ausgangsleistung, wird von der Umsatzsteuer erfasst.

Der Endverbraucher wird also durch die Steuer belastet, denn er zahlt den Gesamtpreis inklusive Umsatzsteuer. Die Unternehmer, die die Umsatzsteuer in Rechnung stellen, müssen die Steuer dann an das Finanzamt abführen. Sie werden also treuhänderisch tätig und reichen die Steuer nur weiter. Deshalb ist die Umsatzsteuer auch eine „indirekte Steuer“, denn der Steuerzahler (Unternehmer) ist nicht der wirtschaftlich Belastete (Verbraucher). Die Umsatzsteuer ist als „laufender Posten“ ausgestaltet, sodass sie von Unternehmer zu Unternehmer bis zum Verbraucher „weitergegeben“ wird.

Zum besseren Verständnis ein stark vereinfachtes Beispiel:

Vorsteuer; Umsatzsteuer; Vorsteuerabzug; Mehrwertsteuer

Ein Produzent verkauft ein Produkt zu einem Nettopreis von 100,- Euro an einen Händler. Dafür stellt er den Umsatzsteuersatz aus § 12 Abs. 1 UStG, also 19 % des Preises, in Rechnung. Bei 100,- Euro sind das genau 19,- Euro. Insgesamt zahlt der Händler dem Produzenten also einen Bruttopreis von 119,- Euro. Die 19,- Euro Umsatzsteuer muss der Produzent an das Finanzamt abführen. Der Händler verkauft das Produkt dann weiter an einen Verbraucher zu einem Bruttopreis von 120,- Euro. Dementsprechend stellt er dem Verbraucher auch die Umsatzsteuer in Höhe von 22,80 Euro in Rechnung. Der Einzelhändler hat aber schon beim Erwerb des Produkts 19,- Euro Umsatzsteuer gezahlt. Diese 19,- Euro kann er jetzt vom Finanzamt zurückbekommen, soweit er selbst für das Produkt Umsatzsteuer erhebt und diese abführen muss. Diesen Betrag, den der Händler zuerst an den Produzenten zahlt, und später vom Finanzamt erstattet bekommt, nennt man „Vorsteuer“.

Zusammenfassung

Der Verbraucher zahlt die volle Umsatzsteuer immer mit. Im Beispiel sind das die gesamten 22,80 Euro. Der Händler führt davon 3,80 Euro an das Finanzamt ab, der Produzent 19,- Euro. Also wird der Verbraucher im Endeffekt alleine durch die Steuer belastet. Der Produzent wird in dem Beispiel gar nicht durch die Umsatzsteuer belastet, er muss nur das abführen, was er vom Händler bekommt. Und der Händler muss insgesamt nur den Mehrwert abführen, also 19% der Differenz zwischen 100,- und 120,- Euro. Die Vorsteuer in Höhe von 19,- Euro bekommt er nämlich vom Finanzamt wieder.

Der Händler kann auch einfach den Differenzbetrag von 3,80 Euro zahlen, indem er die Vorsteuer (hier 19,- Euro) von dem Umsatzsteuerbetrag abzieht, den er ans Finanzamt abführen muss (hier 22,80 Euro). Dieser Vorgang wird auch als „Vorsteuerabzug“ bezeichnet. Das hat den Vorteil, dass das Geld nicht hin- und hergeschoben wird.

Regeln für den Vorsteuerabzug

Um die Umsatzsteuer Vorsteuer abziehen zu können, müssen verschiedene Voraussetzungen vorliegen:

  • Es muss sich um einen abzugsfähigen Vorsteuerbetrag handeln (§ 15 Abs. 1 UStG).
  • Eine Leistung durch einen anderen Unternehmer muss erfolgt sein.
  • Diese Leistung muss auch für die eigene wirtschaftliche Tätigkeit bestimmt sein.
  • Eine Rechnung nach gesetzlichen Anforderungen (§§ 14, 14a UStG) muss vorliegen (Vollständigkeit, genaue Leistungsbestimmung, Angabe der USt-ID bzw. Steuernummer, Angabe des Steuerbetrags).

Sonstige Relevanz in der Praxis

Nicht nur im Rahmen von Steuerzahlungen und -rückerstattungen wird die Vorsteuer relevant. Auch im Zivilrecht, zum Beispiel im Falle eines Verkehrsunfalls, kann die Vorsteuer wichtig sein.

Warum das so ist, zeigt folgendes Beispiel:

Der LKW einer Spedition wird bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Den Unfall hat ein anderer Fahrer zu 100% verschuldet. Der Spediteur muss den LKW zum Preis von 17.850,- Euro reparieren lassen. Davon fallen 2.850,- Euro (19%) an Umsatzsteuer an. Weil der Spediteur den LKW gewerblich nutzt, kann er diese Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen. Muss ihm der Schädiger also den kompletten Kaufpreis bezahlen? Oder muss sich der Spediteur die Vorsteuer anrechnen lassen? Dann müsste der Schädiger nur 15.000,- Euro zahlen.

Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) gibt es folgende Regelung in § 249 Abs. 2:

Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Bei der Beschädigung einer Sache schließt der nach Satz 1 erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.“

Das sagt der Bundesgerichtshof dazu:

„Dem Kläger [ist] endgültig kein Schaden entstanden, weil er die Mehrwertsteuer von seiner eigenen Steuerschuld absetzen [kann], sie ihn also nicht endgültig [belastet]. […] Maßgebend für diese Entscheidung ist, dass der Kläger den Kraftwagen für sein Geschäft […] benutzt und deshalb […] berechtigt ist, die hier in Betracht kommenden Mehrwertsteuerbeträge von seiner Steuerschuld gegenüber dem Finanzamt abzuziehen. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG kann der inländische Unternehmer die ihm von anderen Unternehmern gesondert in Rechnung gestellten Steuern für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die „für sein Unternehmen ausgeführt“ worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Zu den Leistungen, die für ein Unternehmen ausgeführt werden, gehören auch die Instandsetzung des für das Unternehmen verwendeten Kraftfahrzeugs und die Einholung eines Gutachtens über die Höhe der Instandsetzungskosten. Daher kann der Unternehmer die für diese Leistungen gesondert in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer als Vorsteuer von seiner Steuerschuld abziehen.“ (Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 06. Juni 1972).

Beweislast liegt beim Schädiger!

Laut dem oben dargestellten Urteil bekommt der Spediteur also nur 15.000,- Euro ersetzt, und nicht die vollen 17.850,- Euro. Allerdings muss der Schädiger das beweisen. Kann er das nicht, muss er die vollen 17.850,- Euro erstatten:

„Die Beklagte hat den Beweis für eine Vorsteuerabzugsberechtigung auf Seiten des Geschädigten nicht geführt. Nach den allgemeinen Beweislastregeln ist die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass der Geschädigte zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 26.03.2014, Az. 17 U 150/13). Diesen ihr obliegenden Beweis hat die Beklagte nicht geführt, da sie keinen Beweis für eine Vorsteuerabzugsberechtigung des Geschädigten angeboten hat. Die Beklagte hat dem Geschädigten die Sachverständigenkosten somit vollumfänglich zu erstatten.“

Drei Fälle zum Thema Umsatzsteuer im Verkehrsrecht:

Drei praxisrelevante Fälle zum Thema Umsatzsteuer und Vorsteuer können Sie hier nachlesen:

Umut Schleyer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht in Berlin