Totalschaden – was muss ich als Unfallgeschädigter über diesen Begriff wissen?

1. Erklärung des Begriffs Totalschaden
a. Wenn man unverschuldet in einen Verkehrsunfall verwickelt wurde, hat man grundsätzlich einen Schadenersatzanspruch gegen den Unfallgegner und die gegnerische Haftpflichtversicherung. Man ist so zu stellen, wie ohne Unfall. Alle unfallbedingten Schäden sind zu ersetzen. Man darf sich jedoch nicht bereichern.

Bei der Berechnung des Schadens ergeben sich in der Praxis jedoch viele Probleme. Dabei geht es in erster Linie um die Einstufung des Schadens und in zweiter Linie um die sich daraus ergebenden Schadenersatzansprüche. Je nach Konstellation gibt es unterschiedliche Ergebnisse. Man muss auch berücksichtigen, ob der Unfallgeschädigte zum Abzug der Vorsteuer berechtigt ist und das unfallbeschädigte Fahrzeug in seinem Betriebsvermögen hat. In dem folgenden Artikel gehen wir zunächst von einer Privatperson aus, so dass grundsätzlich die Bruttobeträge berücksichtigt werden müssen.

b. Der Begriff des Totalschadens ist gesetzlich nicht definiert.

Um den folgenden Text verstehen zu können, muss man folgende Begriffe kennen bzw. verstanden haben:

  1. Wiederbeschaffungswert (ist der Ausgangspunkt für die Berechnung)
  2. Restwert
  3.  Reparaturkosten (laut Gutachten)
  4. Minderwert
  5. Wiederbeschaffungsaufwand 

c. Ein wirtschaftlicher Totalschaden liegt in der Regel vor, wenn die Reparaturkosten (in der Regel brutto) und eine eventuell angefallene Wertminderung den Wiederbeschaffungswert (In der Regel brutto) übersteigen. Dies hat der Bundesgerichtshof bereits mit Urteil vom 15.10.1991 festgestellt.

Das Urteil können Sie hier nachlesen.

Man spricht also von einem wirtschaftlichen Totalschaden, wenn eine Reparatur technisch zwar möglich, aber wirtschaftlich nicht sinnvoll ist, da die Reparaturkosten (und ggf. ein Minderwert) mindestens so hoch wie der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs sind.

Aus technischer Sicht ist eine Reparatur fast immer möglich. Der Begriff des Totalschadens wird daher aus wirtschaftlicher Sicht betrachtet und bewertet.

Totalschaden

2. Probleme in der Praxis

In der Praxis gibt es viele Probleme bei der Unfallregulierung. Dies liegt zum einen daran, dass die Unfallgeschädigten sich nicht auskennen und verunsichert sind. Zum anderen versuchen die Haftpflichtversicherung mit allen Mitteln die Unfallregulierung zu steuern, so dass naturgemäß unterschiedliche Interessen aufeinander stoßen. Oft werden Unfallgeschädigte sogar „abgezockt„. Einen Artikel zur „Abzocke“ gibt es hier zum Nachlesen.

3. Was kann man als Geschädigter von der Versicherung verlangen?
Um die Schadenersatzansprüche genau berechnen zu können, muss man mindestens drei Fallgruppen unterscheiden.

a. unter 100 Prozent Fälle – also kein Totalschaden!
Als unter 100 Prozent Fälle bezeichnet man die Fälle, bei denen die Reparaturkosten brutto und der Minderwert niedriger sind als der Wiederbeschaffungswert.

Beispiel:

Wiederbeschaffungswert 8.000,- €

Reparaturkosten 7.000,- €

Minderwert 0,- €

Restwert 2.000,- €

(1) Der Unfallgeschädigte repariert nicht

In diesem Fall hat der Geschädigte einen Anspruch auf die Reparaturkosten, maximal bis zu Höhe des Wiederbeschaffungswerts, also hier maximal 8.000,-€. Repariert er nicht, dann bekommt er „nur“ den Wiederbeschaffungsaufwand, also hier 6.000,- €

Ausnahme: Veräußert der Unfallgeschädigte sein Fahrzeug innerhalb von 6 Monaten (nach dem Unfall), hat er lediglich einen Anspruch auf den Wiederbeschaffungsaufwand, also hier in Höhe von 6.000,- €.

(2) Der Unfallgeschädigte repariert teilweise

In diesem Fall hat der Geschädigte einen Anspruch auf die Reparaturkosten, maximal bis zu Höhe des Wiederbeschaffungswerts, also hier maximal 8.000,-€. Es reicht aus, dass der Unfallgeschädigte die „Verkehrssicherheit“ des Fahrzeugs herstellt. Die Qualität der Reparatur spielt keine Rolle.

Ausnahme: Veräußert der Unfallgeschädigte sein Fahrzeug innerhalb von 6 Monaten (nach dem Unfall), hat er lediglich einen Anspruch auf den Wiederbeschaffungsaufwand, also hier in Höhe von 6.000,- €.

(3) Der Unfallgeschädigte repariert vollständig und fachgerecht

In diesem Fall hat der Geschädigte einen Anspruch auf die Reparaturkosten, maximal bis zu Höhe des Wiederbeschaffungswerts, also hier maximal 8.000,-€.

Ausnahme: Veräußert der Unfallgeschädigte sein Fahrzeug innerhalb von 6 Monaten (nach dem Unfall), hat er lediglich einen Anspruch auf den Wiederbeschaffungsaufwand, also hier in Höhe von 6.000,- €. Etwas anderes gilt, wenn er konkret abgerechnet. Das heisst, der Unfallgeschädigte hat das Fahrzeug in einer Werkstatt sach- und fachgerecht reparieren lassen und die Reparaturrechnung bei der gegnerischen Haftpflichtversicherung eingereicht. In diesem Fall muss der Unfallgeschädigte das Fahrzeug nicht mindestens 6 Monate behalten, um einen Anspruch auf Bezahlung der Reparaturrechnung zu haben.

 

b. über 100 Prozent Fälle, aber unter 130 % des Wiederbeschaffungswertes – sog. wirtschaftlicher Totalschaden

Hier sind die Reparaturkosten und der Minderwert höher als der Wiederbeschaffungswert aber innerhalb der 130%-Grenze.

 

Beispiel:

Wiederbeschaffungswert 10.000,- €

Reparaturkosten 11.500,- €

Minderwert 500,- €

Restwert 1.000,- €

(1) Der Unfallgeschädigte repariert nicht

In diesem Fall hat der Unfallgeschädigte einen Anspruch auf den Wiederbeschaffungsaufwand,also hier 9.000,- €.

(2) Der Unfallgeschädigte repariert nur teilweise

In diesem Fall hat der Unfallgeschädigte grundsätzlich „nur“ einen Anspruch auf den Wiederbeschaffungsaufwand,also hier 9.000,- €. Das gleiche gilt, wenn er das Fahrzeug innerhalb von 6 Monaten veräußert oder fiktiv abrechnet.

Etwas anderes gilt, wenn er konkret abgerechnet. Das heisst, der Unfallgeschädigte hat das Fahrzeug in einer Werkstatt teilweise sach- und fachgerecht reparieren lassen und die Reparaturrechnung bei der gegnerischen Haftpflichtversicherung eingereicht. In diesem Fall muss der Unfallgeschädigte das Fahrzeug nicht mindestens 6 Monate behalten, um einen Anspruch auf Bezahlung der Reparaturrechnung zu haben.

Ausnahme:

Der Unfallgeschädigte hat einen Anspruch auf die vollen Reparaturkosten, jedoch maximal bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes, wenn die Reparaturkosten konkret angefallen sind oder wenn der Geschädigte nachweisbar wertmäßig in einem Umfang repariert hat, der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigt. Anderenfalls ist die Höhe des Ersatzanspruchs auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt.

(3) Der Unfallgeschädigte repariert vollständig und fachgerecht

In diesem Fall hat der Unfallgeschädigte einen Anspruch auf Erstattung der vollen Reparaturkosten.

 

c. über 130% – Fälle – sog. wirtschaftlicher Totalschaden

Ist der Schaden 30 % über dem Wiederbeschaffungswert, hat der Unfallgeschädigte lediglich einen Anspruch auf Erstattung des Wiederbeschaffungsaufwands. Weitere Informationen zum Thema 130%-Grenze können Sie hier nachlesen.

 

Totalschaden

4. Muss man als Unfallgeschädigter grundsätzlich 6 Monate auf sein Geld warten, um den vollständigen Betrag (ohne Abzug des Restwertes) zu erhalten?

a. Die Antwort lautet NEIN.

b. Hier muss zwischen den Anspruchsvoraussetzungen (was kann ich verlangen) und der Fälligkeitsvoraussetzungen (wann kann ich es verlangen) unterschieden werden. Richtig ist, wie oben dargestellt, dass die 6-Monatsfrist als Indiz für das Integritätsinteresse dient. Man zeigt als Unfallgeschädigter „mit dem Behalten“ von mindestens 6 weiteren Monaten, dass das unfallbeschädigte Fahrzeug einem am Herzen liegt. Dies hat nichts mit der Frage zu tun, wann ich meinen Schadenersatz zu erhalten habe. Nach einem Unfall, ist der Schadenersatzanspruch in der Regel sofort fällig. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung.

c. Der Bundesgerichtshof hat dies bereits mit Beschluss vom 18.11.2008 bereits zu Gunsten des Unfallgeschädigten beantwortet und unter anderem Folgendes klar gestellt:

„Die Sechsmonatsfrist stellt indes keine zusätzliche Anspruchsvoraussetzung dar. Sie hat lediglich beweismäßige Bedeutung. Wird das beschädigte Fahrzeug sechs Monate nach dem Unfall weiter benutzt, so ist dies im Regelfall ein ausreichendes Indiz, um das Integritätsinteresse des Geschädigten zu bejahen; eine weiter gehende Bedeutung hinsichtlich der Fälligkeit des Anspruchs kommt der Frist nicht zu. Sie als eigenständige Anspruchsvoraussetzung zu verstehen, verbietet sich schon deshalb, weil nicht ersichtlich ist, aus welchem Grund eine Erweiterung der sich aus § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 7 Abs. 1 StVG in Verbindung mit den §§ 249, 271 BGB, § 3 PflVG a.F. ergebenden Anspruchsvoraussetzungen durch die Rechtsprechung angezeigt sein könnte. Dies würde auch zu einer für die Mehrzahl der Geschädigten unzumutbaren Regulierungspraxis führen. Diese müssten, obwohl sie ihr Fahrzeug ordnungsgemäß reparieren ließen oder lassen wollen, bis zu sechs Monate auf die Zahlung eines Großteils der ihnen zustehenden Ersatzforderung warten. Würde die Fälligkeit der Restforderung bis zum Ablauf der Sechsmonatsfrist verschoben, wäre es dem Geschädigten, auch wenn sich sein Begehren als gerechtfertigt erweist, nicht möglich, den Schädiger bzw. seinen Haftpflichtversicherer vor Ablauf der Frist in Verzug zu setzen, um so zumindest eine Verzinsung der Forderung zu erreichen. Dies liefe dann auf eine entschädigungslose Vorfinanzierung durch den Geschädigten oder, falls ihm eine Vorfinanzierung aus finanziellen Gründen nicht möglich ist, auf einen gänzlichen Verzicht auf die gewünschte Reparatur hinaus, was eine erhebliche Einschränkung der Ersetzungsbefugnis und der Dispositionsfreiheit des Geschädigten bedeuten würde. Ein Hinausschieben der Fälligkeit für sechs Monate käme zudem nicht in jedem Fall in Betracht. Die Weiternutzung für sechs Monate ist nur im Regelfall ein ausreichendes Indiz für ein bestehendes Integritätsinteresse. Es sind indes zahlreiche Fallgestaltungen denkbar, bei denen die Nutzung des Fahrzeugs aus besonderen Gründen bereits lange vor Ablauf der Sechsmonatsfrist eingestellt wird, etwa infolge eines weiteren Unfalls oder deshalb, weil eine Fahrzeugnutzung aus finanziellen Gründen (z.B. Arbeitslosigkeit) nicht mehr möglich ist. In solchen Fällen könnte für die Fälligkeit allenfalls auf den Zeitpunkt der jeweils erzwungenen oder jedenfalls schadensrechtlich unschädlichen Nutzungsaufgabe abgestellt werden. Dafür ist indes in Anbetracht der vorstehenden Erwägungen kein Grund ersichtlich.

d) Dass der Schädiger bzw. sein Haftpflichtversicherer bei sofortiger Fälligkeit des gesamten Schadensersatzbetrages nach fachgerechter Reparatur das Solvenzrisiko hinsichtlich eines etwaigen Rückforderungsanspruchs trägt, sofern er in der Sechsmonatsfrist zahlt, vermag an der rechtlichen Beurteilung nichts zu ändern. Die mit der Gesamtfälligkeit möglicherweise einher gehenden Unsicherheiten erschweren die Regulierung für den Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer auch nicht unzumutbar. Die Zahlung des gesamten Betrages erfolgt auf eine vom Geschädigten veranlasste Wiederherstellung des beschädigten Kraftfahrzeugs. Hierdurch ist der Wille zur Weiternutzung zunächst ausreichend belegt. Ob der Versicherer in dieser Situation den gesamten Schadensersatzbetrag bezahlt oder ob er sich verklagen lässt, muss er aufgrund einer Bewertung der Umstände des jeweiligen Regulierungsfalls beurteilen. Eine solche Beurteilung der Umstände des Einzelfalls mag im Massengeschäft der Regulierungspraxis lästig sein, ist aber nicht zu vermeiden, wenn der einzelne Regulierungsfall konkrete Zweifelsfragen aufwirft. Zahlt der Versicherer, kann er die Zahlung des über dem Wiederbeschaffungsaufwand liegenden Betrages unter einem Rückforderungsvorbehalt leisten.“

Den Beschluss kann man hier nachlesen.

Infolgedessen muss man als Unfallgeschädigter nicht 6 Monate auf sein Geld bzw. auf den vollständigen Betrag warten. Der Zahlungsanspruch ist in der Regel sofort fällig. Man muss jedoch beachten, dass den Versicherungen eine Regulierungsfrist von 4-6 Wochen zugesprochen wird. 

Dieser Text wurde durch die Kanzlei Schleyer erstellt.