Haftung bei Verkehrsunfall mit Personenschaden: Das Oberlandesgericht Düsseldorf äußert sich mit Urteil vom 01. April 2014 zum Aktenzeichen I-1 U 57/13 zum Nachweis der Unfallursächlichkeit eines HWS-Syndroms (Halswirbelsäulen-Syndrom) und zum Schmerzensgeldanspruch für HWS-Syndrom bei einem gesundheitlich geschwächten Menschen

Orientierungssatzasd

1. Den Äußerungen eines durch einen Verkehrsunfall Geschädigten gegenüber den behandelnden Ärzten und Therapeuten sowie deren Beobachtungen und Einschätzungen ist im Rahmen der freien Beweiswürdigung ein erheblichen Stellenwert einzuräumen, da es einer Partei, die an nicht durch wissenschaftliche Methoden objektivierbaren Beschwerden, wie z.B. Schmerzzuständen, leidet, anderenfalls die Möglichkeit zum Beweis ihres Vortrags entzogen würde.

2. Bei Verletzung eines bereits geschwächten Menschen kann der Schädiger nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wäre der Betroffene gesund gewesen.

3. Erleidet der vorgeschädigte Betroffene infolge des Verkehrsunfalls eine HWS-Distorsion mit einem verzögerten Heilungsverlauf, so hat er Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 2.500 Euro.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 17. April 2013 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 1.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. November 2010 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 77 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 23 % zu tragen.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers hat zum Teil Erfolg.

Der Kläger hat gegen die Beklagten gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1, 11 S. 2 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG einen Anspruch auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes in Höhe von 1.500,00 €, weil der Senat nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme davon überzeugt ist, dass der Kläger bei dem Verkehrsunfall vom 19.02.2010 eine HWS-Distorsion des Schweregrades I erlitten hat, welche zu den von ihm vorgetragenen Beeinträchtigungen geführt hat.

I. Die Frage, ob sich der Kläger bei dem Unfall überhaupt eine Verletzung zugezogen hat (sog. Primärverletzung), betrifft die haftungsbegründende Kausalität und unterliegt damit den strengen Anforderungen des Vollbeweises gemäß § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO. Danach hat der Tatrichter unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht für wahr zu erachten ist. Die hiernach erforderliche Überzeugung erfordert indes keine absolute oder unumstößliche Gewissheit oder an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, NJW 2003, 1116; VersR 2008, 1133 mit weiteren Nachweisen). Steht fest, dass es unfallbedingt zu einer Primärverletzung gekommen ist, kommen dem Geschädigten für die Frage der haftungsausfüllenden Kausalität bezogen auf den Umfang der durch den Unfall entstandenen Schäden die Beweiserleichterungen des § 287 Abs. 1 ZPO zugute (BGH, NJW 2004, 2828).

II. Soweit das Landgericht den Nachweis einer Primärverletzung der Halswirbelsäule als nicht erbracht angesehen hat, ist der Senat an die erstinstanzliche Beweiswürdigung nicht gebunden, weil unter Zugrundelegung des vorgenannten Beweismaßstabs konkrete Anhaltspunkte bestehen, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die Feststellungen des Senats führen zu dem Ergebnis, dass der Kläger bei dem Verkehrsunfall vom 19.02.2010 eine HWS-Distorsion des Schweregrades I erlitten hat, welche über einen Zeitraum von bis zu 6 Monaten zu Nacken- und Schulterschmerzen beim Bücken, Strecken und Heben, zu einer schmerzhaft eingeschränkten Rotation und Seitneigung der Halswirbelsäule sowie zu stechenden, teils schlagartigen Schmerzen mit Schwindelzuständen und Angst- und Panikattacken beim Treppensteigen geführt hat. Hierbei hat sich der Senat von folgenden Erwägungen leiten lassen:

1. Die auf der Grundlage des unfallanalytischen Gutachtens des Sachverständigen N. getroffenen Feststellungen des Landgerichts über die biomechanische Belastung des Klägers durch die streitgegenständliche Kollision werden mit der Berufung zwar nicht angegriffen, sind aber ersichtlich unvollständig.

a) Soweit die Berufung dem Landgericht vorwirft, es orientiere sich zu nahe an der – vom Bundesgerichtshof verworfenen – sog. Harmlosigkeitsgrenze, trifft dies nicht zu. Nach den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Dr. V. liegen die Grenzen des „Toleranzbereichs“, innerhalb dessen nach dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Kenntnisstand bei dem am ehesten vergleichbaren Frontalaufprall Verletzungen der Fahrzeuginsassen in der Regel nicht aufträten, bei einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung von etwa 20 km/h und einer Beschleunigung von etwa 5 g. Obwohl bei isolierter Auswertung des Gutachtens des Sachverständigen N. nur eine Kollisionsdifferenzgeschwindigkeit von 16,2 km/h und eine Beschleunigung von 3,8 g sicher feststellbar waren (dazu s. u.), hat das Landgericht es bei dieser Feststellung nicht bewenden lassen, sondern ein fachmedizinisches Sachverständigengutachten eingeholt, welches – wenn auch mit erheblichen Defiziten (dazu s. u.) – auch die subjektive Anamnese des Klägers sowie dessen individuelle körperliche Konstitution in die Beurteilung einbezogen hat und vom Landgericht auch in dieser Hinsicht gewürdigt worden ist.

b) Allerdings hat das Landgericht bei seiner Beweiswürdigung völlig unberücksichtigt gelassen, dass nach dem Gutachten des Sachverständigen N. durchaus auch höhere biomechanische Belastungen von bis zu 20,9 km/h bzw. 5,4 g auf den Kläger eingewirkt haben können, bei deren Vorliegen der Sachverständige Dr. V. eine HWS-Distorsion des Schweregrades I als wahrscheinlich ansieht (Bl. 190 f. d. A.). Insofern ist es zu kurz gegriffen, die medizinische Beurteilung strikt an der technisch sicher feststellbaren unteren Belastungsgrenze auszurichten; vielmehr müssen die Ergebnisse des technischen und des medizinischen Sachverständigengutachtens einer Gesamtschau unterzogen werden. Denn je mehr die medizinischen Befunde auf einen ursächlichen Zusammenhang der Beschwerden des Klägers mit dem Unfallereignis hindeuten, desto mehr rückt hierdurch auch eine höhere mechanische Einwirkung in den Bereich des Wahrscheinlichen. Schon aus diesem Grunde ist die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtsfehlerhaft.

2. In Fällen wie dem vorliegenden, in denen die behauptete Verletzung mangels struktureller, durch bildgebende Verfahren feststellbarer Veränderungen oder spezifischer neurologischer Befunde nicht im naturwissenschaftlichen Sinne nachweisbar ist, was senatsbekannt praktisch bei allen „leichteren“ HWS-Distorsionen der Schweregrade I und II in der Einteilung nach E. der Fall ist, steht dem Anspruchsteller nur der Beweis durch Indizien offen.

a) In diesem Sinne spricht für die Behauptung des Klägers, er sei bei dem Unfallereignis vom 19.02.2010 an der Halswirbelsäule verletzt worden, dass er sich unstreitig am 20.02.2010 – einen Tag nach dem Unfall – in der Notfallpraxis Dr. S. sowie in der chirurgischen Ambulanz des St.-Josefs-Krankenhauses und am 22.02.2010 bei seinem Hausarzt, dem Zeugen Dr. T., vorstellte und über Kopf- und Nackenschmerzen mit Ausstrahlung in die Schulter berichtete, welche mit dem Verletzungsbild einer HWS-Distorsion grundsätzlich kompatibel sind. Anhaltspunkte, dass die Angaben des Klägers gegenüber den behandelnden Ärzten nicht authentisch waren, sind nicht ersichtlich. Zum einen hat der Zeuge Dr. T. auch objektive Befunde in Form einer Verspannung der paravertebralen Muskulatur sowie einer schmerzhaft eingeschränkten Beweglichkeit der Halswirbelsäule erhoben, die mit den vom Kläger subjektiv beschriebenen Beschwerden korrespondieren (vgl. die ärztlichen Berichte vom 18.03.2010, Bl. 7 d. A., und vom 24.09.2010, Bl.16 d. A.). Zum anderen ist dokumentiert, dass der Kläger auch in der Folgezeit mehrfach wegen persistierender HWS-Beschwerden bei dem Zeugen Dr. T. vorstellig wurde (Bl. 7 f. d. A.) und in der Zeit vom 28.06.2010 bis 18.08.2010 wegen dieser Beschwerden 10 x physiotherapeutisch behandelt wurde (Bl. 12 ff. d. A.).

Den Äußerungen des Klägers gegenüber den behandelnden Ärzten und Therapeuten sowie deren Beobachtungen und Einschätzungen ist im Rahmen der Beweiswürdigung ein erheblicher Stellenwert beizumessen, da anderenfalls einer Partei, die über nicht durch naturwissenschaftliche Methoden objektivierbare Beschwerden, wie es Schmerzzustände sein können, klagt, jede Möglichkeit genommen würde, ihren Vortrag zu beweisen (vgl. Senat, Urteil vom 08.02.2011, Az. I-1 U 56/10, mit Hinweis auf BGH, NJW 1986, 1541).

b) Welche Beweiskraft der zeitnahen Schilderung kompatibler Beschwerden zukommt, hängt davon ab, ob und ggf. in welchem Ausmaß und welcher Häufigkeit der Kläger derartige Beschwerden auch schon vor dem Unfall hatte. Um die Unfallbedingtheit des vom Anspruchsteller geltend gemachten Verletzungs- und Beschwerdebildes zu ermitteln, ist der medizinische Befund, wie er sich unmittelbar vor dem Unfall darstellte, zu rekonstruieren und mit denjenigen zu vergleichen, der nach dem Unfall gegeben war. Ergibt der Vergleich, dass nachher ein „Mehr“ an Verletzungen oder Beschwerden vorlag, so lässt dies darauf schließen, dass die Verschlimmerung gegenüber dem Vorzustand durch den Unfall (mit-) verursacht worden ist (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteile vom 08.02.2011, Az. I-1 U 56/10, und vom 01.03.2011, Az. I-1 U 102/10, mit Hinweisen auf BGH, NJW-RR 2005, 897; Dannert, ZfS 2001, 50 ff.; Krücker: in Graf-Grill-Wedig, Beschleunigungsverletzung der Halswirbelsäule, S. 361, 368). Dem Gericht ist es bei seiner Beweiswürdigung nicht verwehrt, im Wege des Ausschlusses anderer Ursachen zu der Feststellung zu gelangen, dass als einzig realistische Ursache für die Beschwerden des Klägers der streitgegenständliche Unfall in Betracht kommt (BGH, NJW 2003, 1116).

Unstreitig bestanden beim Kläger im Unfallzeitpunkt degenerative Vorschäden an der Halswirbelsäule (Höhenminderungen der Zwischenwirbelräume C4/5, C 5/6 und C6/7 und Verkalkungen in den Nackenweichteilen in Höhe des Dornfortsatzes C5), die – soweit ersichtlich – erstmals aufgrund der am 20.02.2010 im St.-Josefs-Krankenhaus Hilden angefertigten Röntgenaufnahmen diagnostiziert wurden (Bl. 181 d. A.). Allerdings hat der Kläger behauptet, er sei vor dem Unfall beschwerdefrei gewesen. Soweit aus den vorgelegten Berichten und Krankenunterlagen ersichtlich, war der Kläger vor dem Unfallereignis lediglich drei Mal, nämlich am 06.12.2005 wegen eines akuten Schiefhalses, am 14.07.2008 wegen Myogelosen der Nackenmuskulatur und am 23.04.2009 wegen einer Blockierung der HWS/BWS, in ärztlicher Behandlung (Bl. 7 f. d. A.). Die Behauptung des Klägers, danach habe jeweils wieder Beschwerdefreiheit bestanden, hält der Senat für glaubhaft, weil anderenfalls häufigere Arztbesuche zu erwarten gewesen wären.

3. Soweit es nicht um die Glaubwürdigkeit des Klägers, sondern um die medizinische Plausibilität seiner Angaben und die daraus abzuleitenden Schlüsse auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer bestimmten Verletzung geht, hat sich der Tatrichter bei der Bewertung der vorstehenden Indizien der Hilfe eines fachmedizinischen Sachverständigen zu bedienen (vgl. BGH, VersR 2008, 1133). Diesem Gebot ist das Landgericht durch die Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Dr. V. im Grundsatz nachgekommen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist dieses Gutachten aber in wesentlichen Teilen nicht überzeugend.

a) So hat der Sachverständige dem oben beschriebenen Vergleich des Beschwerdebildes vor und nach dem Unfall keine ausreichende Bedeutung beigemessen. Soweit er ausführt, die nach dem Unfall erhobenen Befunde seien nicht spezifisch für eine bestimmte Ursache, und in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass die Krankheitshäufigkeit für Nacken- bzw. chronische Schulter-Arm-Beschwerden bis zu 30 % betrage (Bl. 185 d. A.), liefert dies keine plausible Erklärung für das plötzliche Auftreten von Beschwerden nach einem Verkehrsunfall, nachdem zuvor seit ca. 10 Monaten vollständige Beschwerdefreiheit bestand.

b) Soweit der Sachverständige ausführt, die Röntgenbilder und Kernspintomographien zeigten keine Besonderheiten der körperlichen Konstitution des Klägers, von denen bekannt sei, dass sie die Verletzungsneigung der Halswirbelsäule bei äußeren mechanischen Einwirkungen erhöhen könnten (Bl. 189 d. A.), lässt er die naheliegende – dem Senat aus anderen fachorthopädischen Gutachten bekannte – Möglichkeit außer Betracht, dass zuvor „stumme“ Verletzungen, wie die beim Kläger festgestellten degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule, durch eine mechanische Belastung der vorliegenden Art „aktiviert“ worden sein könnten.

Diese Möglichkeit kann auch unter Berücksichtigung der in der Anhörung vom 06.02.2013 getätigten Äußerung des Sachverständigen, es gebe keine wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu, dass bei diesem geringen Belastungsbereich degenerative Vorschäden eine vermehrte Verletzungsgefährdung begründeten (Bl. 231 d. A.), nicht ausgeschlossen werden. Der in dem Protokoll vom 06.02.2013 anklingende und vom Sachverständigen Dr. V. auch in anderen dem Senat bekannten Gutachten gezogene Umkehrschluss, dass das Nichtvorliegen statistischer Untersuchungen, die positiv belegen würden, dass in dem hier in Frage stehenden Belastungsbereich das Vorliegen nicht struktureller, degenerativer Veränderungen der Halswirbelsäule zu einer erhöhten Verletzungsbereitschaft führe, darauf schließen lasse, dass ein solcher Zusammenhang wahrscheinlich nicht bestehe, ist wissenschaftsmethodisch nicht haltbar. Aussagekräftig wären insoweit lediglich Untersuchungen, die einen solchen Zusammenhang widerlegen. Auch unter biomechanischen Gesichtspunkten erscheint nicht nachvollziehbar, dass degenerative Veränderungen bei niedrigen Belastungen keine Rolle spielen sollen, wenn sie bei höheren Belastungen das Auftreten einer HWS-Verletzung nachweislich begünstigen.

4. Unterzieht man die technischen Feststellungen des Sachverständigen N., die sich aus dem Beschwerdebild des Klägers vor und nach dem Unfall ergebenden Verletzungsindizien und deren medizinische Beurteilung durch den Sachverständigen Dr. V. – soweit diese nachvollziehbar ist – der notwendigen Gesamtschau, so spricht nach Auffassung des Senats viel dafür, dass die biomechanische Belastung des Klägers nahe an der Obergrenze von 20,9 km/h kollisionsbedingter Geschwindigkeitsänderung und 5,4 g mittlerer Beschleunigung lag. Für diesen Fall hält selbst der Sachverständige Dr. V., der – wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt – aus medizinischer Sicht (zu) hohe Anforderungen an den Nachweis einer HWS-Verletzung stellt, die vom Kläger geklagten Beschwerden und erhobenen Befunde für zwanglos mit der Annahme vereinbar, dass der Kläger bei dem Unfall eine HWS-Distorsion entsprechend dem Schweregrad I in der Einteilung nach E. erlitten hat. Da eine unfallunfallunabhängige Erklärung für die Beschwerden des Klägers nicht ersichtlich ist, kann nach Auffassung des Senats kein vernünftiger Zweifel an der Richtigkeit dieser Annahme bestehen.

III.

1. Steht somit fest, dass es unfallbedingt zu einer Primärverletzung der Halswirbelsäule gekommen ist, haben die Beklagten für die die Folgen dieser Verletzung auch insoweit einzustehen, als sie (möglicherweise) auf einem Zusammenwirken von degenerativen Vorschäden und der Unfallverletzung beruhen. Denn ein Schädiger hat keinen Anspruch darauf, auf ein gesundes Unfallopfer zu treffen. Wer einen gesundheitlich schon geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wäre der Betroffene gesund gewesen (Senat, Urteil vom 08.02.2011, Az. I-1 U 56/10, mit Hinweis auf BGH, NJW-RR 2005, 897). Dass die durch den Unfall ausgelösten Beschwerden zu einem eingrenzbaren Zeitpunkt auch unfallunabhängig aufgetreten bzw. von unfallunabhängig aufgetretenen Beschwerden überlagert worden wären (sog. überholende Kausalität), haben die insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten nicht vorgetragen.

2. Für die Bemessung des Schmerzensgeldes kommt es maßgeblich auf Art und Umfang sowie die Dauer der infolge der Verletzung aufgetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen an. Da diese Umstände die haftungsausfüllende Kausalität betreffen, kommt dem Kläger insoweit die Beweiserleichterung des § 287 Abs. 1 ZPO zugute, wonach lediglich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit seiner Behauptungen sprechen muss.

a) Nach Einschätzung des Sachverständigen Dr. V., welcher sich der Senat insoweit anschließt, ist für den Fall einer HWS-Distorsion des Schweregrades I überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger beim Bücken, Strecken und Heben unter Schmerzen litt, die vom Nacken bis in den Schulterbereich ausstrahlten, dass die Rotation und Seitneigung der Halswirbelsäule schmerzhaft eingeschränkt waren und dass beim Treppensteigen stechende, teils schlagartige Schmerzen und Schwindelzustände auftraten (Bl. 192 f. d. A.). Infolgedessen erscheint ohne Weiteres nachvollziehbar, dass der Kläger anfangs seinen Haushalt nur unter Schmerzen bewältigen und nicht joggen konnte und dass er bei Auftreten der beschriebenen Schwindelzustände beim Treppensteigen Angst- und Panikattacken bekam.

Ausgehend von der – vom Sachverständigen Dr. V. bestätigten (Bl. 190, 193 d. A.) – Erfahrung, dass distorsionsbedingte HWS-Beschwerden in der Regel nach drei Monaten abklingen, ist beim Kläger ein verzögerter Heilungsverlauf festzustellen: Die Behandlungsdokumentation des Zeugen Dr. T. belegt, dass die Beschwerden mindestens bis zum 17.06.2010 andauerten. Laut der Mitteilung des Physiotherapeuten S. vom 19.08.2010 (Bl. 14 d. A.) war bis zum 18.08.2010 noch keine vollständige Beschwerdefreiheit erreicht; erst am 02.09.2010 gab der Kläger gegenüber dem Zeugen Dr. T. eine „weitgehende Besserung“ an (Bl. 17 d. A.). Die Angaben des Klägers gegenüber dem Sachverständigen Dr. V. am 16.08.2012, er sei bis jetzt keinen Tag beschwerdefrei gewesen und habe nach wie vor Kopfschmerzen beim Joggen und Schmerzen im oberen Bereich der Halswirbelsäule, haben bei der Schmerzensgeldbemessung außer Betracht zu bleiben, weil der Kläger diese Behauptung nicht in den Prozess eingeführt hat.

b) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Bemessungsfaktoren, insbesondere des verzögerten Heilungsverlaufs, und der Schmerzensgeldbeträge, die der Senat in anderen Fällen von HWS-Distorsionen regelmäßig zuerkennt, hält der Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 2.500,00 € für erforderlich, aber auch ausreichend, um dem Kläger einen angemessen Ausgleich für die Verletzung seiner Halswirbelsäule und die infolgedessen erlittenen Beeinträchtigungen zu verschaffen. Nachdem die Beklagte zu 1. den Anspruch mit der vorgerichtlichen Zahlung in Höhe von 1.000,00 € teilweise erfüllt hat (§ 362 Abs. 1 BGB), verbleibt eine berechtigte Restforderung des Klägers in Höhe von 1.500,00 €.

IV. Indessen vermag der Senat ebenso wenig wie das Landgericht festzustellen, dass der Kläger bei dem streitgegenständlichen Unfall auch eine Schädelprellung erlitten hat. Insoweit zeigt die Berufung keine konkreten Anhaltspunkte auf, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen begründen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Nach den überzeugenden Ausführungen des Landgerichts ist der vom Kläger gegenüber dem Sachverständigen Dr. V. geschilderte Ablauf, dass sein Kopf zunächst gegen die Seitenscheibe und anschließend auf das Lenkrad geprallt sei (Bl. 172 d. A.), technisch unplausibel und selbst ein – technisch denkbarer – isolierter Anstoß gegen den Lenkradkranz aufgrund der vorliegenden Beschleunigung eher unwahrscheinlich. Die Berufung weist zwar zutreffend darauf hin, dass die vom Landgericht übernommenen Plausibilitätsüberlegungen des Sachverständigen N. (Bl. 95 f. d. A.) eine bestimmte Sitzposition des Klägers, nämlich eine übliche Sitzhaltung mit angelegtem Gurt, unterstellen. Allerdings behauptet der Kläger nicht, sich zum Unfallzeitpunkt in anderen Sitzposition befunden zu haben; im Gegenteil deuten seine Angaben gegenüber dem Sachverständigen Dr. V., er sei angeschnallter Fahrer gewesen und auf seinem Sitzplatz habe sich eine korrekt auf seine Körpergröße eingestellte Kopfstütze befunden, darauf hin, dass er sich in eben jener üblichen, vom Sachverständigen N. unterstellten Sitzposition befand.

Der von dem Zeugen Dr. T. bekundeten Rötung im Bereich der linken Schläfe (Bl. 245 d. A.) hat das Landgericht zu Recht keinen ausreichenden Beweiswert für eine unfallbedingte Schädelprellung beigemessen. Auffällig ist, dass in den Berichten über die Untersuchungen in der Notfallpraxis Dr. S. sowie in der chirurgischen Ambulanz des St.-Josefs-Krankenhauses Hilden am 20.02.2010 keinerlei Prellmarke oder sonstige äußere Verletzungsanzeichen erwähnt sind. Wenn der Zeuge Dr. T. am 22.02.2010 – mithin drei Tage nach dem Unfall – eine unspezifische, definitiv nicht von einem Hämatom herrührende Rötung festgestellt hat, kann eine sichere Zuordnung zum Unfallereignis nicht mehr vorgenommen werden. Selbst wenn man die Rötung wegen des zeitlichen Zusammenhangs als Unfallfolge ansähe, ließe sie jedenfalls nicht den Schluss auf eine klinisch relevante Schädelprellung zu. Denn die aufgrund der Anamnese des Klägers dokumentierten Kopfschmerzen können – in Verbindung mit den angegebenen Nackenschmerzen und Bewegungseinschränkungen – auch Folge der nach den obigen Ausführungen feststehenden Verletzung der Halswirbelsäule sein.

V. Der Zinsanspruch ist aus §§ 286 Abs. 1 S. 1, 288 Abs. 1 BGB gerechtfertigt, weil die Beklagten mit Ablauf der in dem Mahnschreiben vom 03.11.2010 (Bl. 19 f. d. A.) gesetzten Frist bis zum 22.11.2010 in Verzug geraten sind.

VI. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 S. 1, 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 und 4 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Zulassungsgrund gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht gegeben ist.

Der Wert des Streitgegenstandes für den Berufungsrechtszug beträgt 6.500,00 €.