Ablehnung eines medizinischen Sachverständigen: Im deutschen Recht besteht die Möglichkeit einen Antrag auf Besorgnis wegen Befangenheit gegen den berufenen Richter oder Sachverständigen zu stellen.  Das Oberlandesgericht München hat mit Beschluss vom 31. März 2014 zum Aktenzeichen 10 W 32/14 sich zu den Voraussetzung hinsichtlich der Befangenheit eines gerichtlichen Sachverständigen geäußert:

Orientierungssatz

1. Für die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen reicht bereits der bei der ablehnenden Partei erweckte Anschein der Parteilichkeit für die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit. Dieser Anschein muß sich auf Tatsachen oder Umstände gründen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber; rein subjektive, unvernünftige oder eingebildete Vorstellungen des Ablehnenden scheiden aus. Unbeachtlich ist, dass der Sachverständige sich selbst nicht für befangen hält.

2. Enthält der Beschluss, der das umfangreiche Ablehnungsgesuch zurückweist, keine echte Begründung, sondern nur den Hinweis, dass die vorgetragenen Gründe die Annahme der Befangenheit nicht rechtfertigten, zumal der Sachverständige ausdrücklich erklärt habe, nicht befangen zu sein, so kann der Beschluss keinen Bestand haben. Im übrigen wird ein solcher Beschluss dem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs auch nicht ansatzweise gerecht.

3. Wird ein medizinischer Gutachter vom Gericht beauftragt, ein fachmedizinisches Gutachten zu fertigen und gegebenenfalls erforderliche Zusatzgutachten aus anderen Fachrichtungen einzuholen, so begründet es die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen, wenn dieser über sein eigenes medizinisches Fachgebiet hinaus lediglich eine Begutachtung nach Aktenlage vornimmt, anstatt die entsprechenden anderen Fachmediziner heranzuziehen. In den verschiedenen medizinisches Fachgebieten müssen jeweils eigenständige Untersuchungen durchgeführt werden; ein Gutachten nach Aktenlage reicht sowohl aus rechtlicher als auch aus medizinischer Sicht grundsätzlich nicht aus.

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Klägers vom 28.11.2013 wird der Beschluß des LG München I vom 28.11.2013 (Az. 17 O 23524/09) dahin abgeändert, daß das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen Dr. med. C S. für begründet erklärt wird.

2. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt.

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

A. Gegenstand des Rechtsstreits sind Schadensersatzansprüche (Verdienstentgang, Fahrkosten und Heilbehandlungskosten, Schmerzensgeld, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Zukunftsschaden) in Höhe von 429.171,21 € im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall vom 26.09.2003 gegen 14.20 Uhr auf der Südlichen Münchner Straße in G. b. München.

Mit Schriftsatz vom 23.10.2013 (Bl. 314/348 d. A.) lehnte der Kläger den gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. med. C S. wegen Besorgnis der Befangenheit ab, wobei zur Begründung im wesentlichen vorgetragen wird, daß der Sachverständige in seinem Gutachten vom 05.08.2013 (Bl. 243/308 d. A.) den Beweisbeschluß vom 09.11.2012 (Bl. 235 d. A.) insoweit mißachtet habe, daß er die dort genannten Zusatzgutachten nicht eingeholt und statt dessen die vorgerichtlichen Atteste und Gutachten bewertet habe, obwohl er als Facharzt für Orthopädie u. Unfallchirurgie hierfür nicht kompetent sei. Dieser Antrag wurde mit Beschluß des LG München I vom 28.11.2013 (Bl. 356/357 d. A.) zurückgewiesen.

Hiergegen legte der Kläger mit Schriftsatz vom 28.11.2013 (Bl. 263 d. A.) Beschwerde ein. Das LG München I half der sofortigen Beschwerde mit Beschluß vom 03.01.2014 (Bl. Bl. 365/366 d. A.) nicht ab. Hierzu nahm der Kläger mit Schriftsatz vom 27.01.2014 (Bl. 371/374 d. A.) Stellung.

B.

I. Das Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde auszulegen und als solche gem. § 567 I Nr. 1 ZPO i. Verb. m. § 406 V ZPO statthaft und gem. §§ 569 I, II, 571 I ZPO frist- und formgerecht eingelegt. Das Ablehnungsgesuch ist auch begründet.

1. Nach §§ 406 I 1, 42 II ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Für die Besorgnis der Befangenheit ist es nicht erforderlich, daß der vom Gericht beauftragte Sachverständige bei Gesamtbetrachtung (BGH NJW 1956, 271; OLG Dresden, Beschl. v. 25.01.2010 – 9 U 2258/05 [juris]; Senat in st. Rspr., zuletzt Beschl. v. 25.03.2014 – 10 W 91/14) parteiisch ist oder das Gericht Zweifel an seiner Unparteilichkeit hat. Vielmehr rechtfertigt bereits der bei der ablehnenden Partei erweckte Anschein der Parteilichkeit die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit. Dieser Anschein muß sich auf Tatsachen oder Umstände gründen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (BGH IBR 2009, 53 m. w. N.); rein subjektive, unvernünftige oder eingebildete Vorstellungen des Ablehnenden scheiden aus (BVerfG NJW 1993, 2230 m. w. N.; BGH NJW-RR 2003, 1220; IBR 2009, 53 m. w. N.; BayObLG in st. Rspr., zuletzt Beschl. v. 23.05.2002 – 2 ZBR 33/02; Senat, a. a. O.).

2. Der angefochtene Beschluß kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil er, wie der Beschwerdeführer zutreffend beanstandet, keine echte Begründung enthält.

Die „Gründe“ des angefochtenen Beschlusses, mit dem das 27 Seiten umfassende Ablehnungsgesuch verbeschieden wurde, lauten: „Die vorgetragenen Gründe, insbesondere die vorgetragenen Mängel im Gutachten, rechtfertigen es nicht, den Sachverständigen als befangen anzusehen und Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu begründen. Er selbst hat im Rahmen seiner Stellungnahme ausdrücklich erklärt, nicht befangen zu sein.“

Der erste Satz ist das Ergebnis einer rechtlichen Prüfung und ihrer Darstellung, die vorliegend nur aus dem zweiten Satz besteht, der zudem inhaltlich offensichtlich falsch ist: Dem Erstgericht ist, wie auch der insoweit gleichlautende Nichtabhilfebeschluß zeigt, offenbar nicht bekannt, daß es für die Frage, ob eine Besorgnis der Befangenheit besteht, nicht darauf ankommt, ob sich der Abgelehnte für befangen hält (vgl. für Richter BVerfGE 73, 330 [335]; 99, 51 [56]; BGH in st. Rspr., etwa Beschl. v. 20.10.2003 – II ZB 31/02; Senat OLGR 2006, 119 f., st. Rspr., zuletzt Beschl. v. 12.03.2014 – 10 W 239/14). Daß der Beschluß im übrigen dem Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG) nicht ansatzweise gerecht wird, bedarf keiner weiteren Erläuterung.

3. Vorliegend rechtfertigt das von dem Beschwerdeführer beanstandete Verhalten des abgelehnten Sachverständigen die Annahme einer Befangenheit.

a) Zwar ist das Verfahren der Ablehnung eines Sachverständigen nicht dazu bestimmt, zu überprüfen, ob die Verfahrensweise des Sachverständigen im Rahmen der Begutachtung zutreffend ist oder nicht (OLG Saarbrücken OLGR 2008, 314; Senat in st. Rspr., zuletzt Beschl. v. 25.03.2014 – 10 W 91/14).

Auch die angebliche oder tatsächliche Unrichtigkeit einer sachverständigen Feststellung oder Bewertung kann grundsätzlich nicht im Wege einer Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit geltend gemacht werden, da diese grundsätzlich kein Mittel zur Fehlerkontrolle ist (BGH MDR 2011, 1373 [für Lücken und Unzulänglichkeiten im schriftlichen Gutachten]; OLG München Rpfleger 1980, 303; OLG Nürnberg MDR 2002, 291; OLG Naumburg OLGR 2007, 376 [377]; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 18.04.2007 – 5 W 90/07 [Juris]; OLG Köln, Beschl. v. 26.07.2007 – 2 W 58/07 [juris]; Senat a. a. O.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 34. Aufl. 2013, § 406 Rz. 3; Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 406 Rz. 9). Solche Einwände sind im Wege des § 411 IV ZPO durch schriftliche Ergänzung des Gutachtens (Senat, a. a. O.) oder durch Befragung des Sachverständigen in mündlicher Verhandlung (Senat a. a. O.) oder durch Erholung eines weiteren Gutachtens gemäß §§ 404, 408 I 2, 412 ZPO (OLG Frankfurt BauR 1995, 133; Senat a. a. O.; Zöller/Greger a. a. O.) zu berücksichtigen oder sie sind im Berufungsverfahren zu prüfen (Senat a. a. O.; Zöller/Greger a. a. O.).

b) Diese Grundsätze gelten aber nicht uneingeschränkt bei einer Häufung schwerwiegender sachlicher Mängel (OLG Karlsruhe in MDR 2010, 230 = VersR 2010, 498; Senat a. a. O.) oder anderen schwerwiegenden Verstößen eines Sachverständigen gegen zwingende gesetzliche Vorschriften.

aa) Der Beweisbeschluß vom 09.11.2012 (Bl. 235 d. A.) lautete: „Über die unfallbedingten Schmerzens und Leiden des Klägers, die (gestaffelten) Zeiten der Minderung der Erwerbsfähigkeit sowie der Minderung der Haushaltsführung, die Frage eines Dauerschadens ist Beweis zu erheben durch Einholung eines fachmedizinischen Gutachtens. Um Erstellung des Gutachtens wird der Sachverständige Dr. C S., leitender Arzt Sektion Wirbelsäule, Klinikum B. M. […] ersucht der eventuell erforderliche Zusatzgutachten von sich aus erholen möge.“

Aus dem ungenau formulierten Beweisbeschluß (so ist es selbstverständlich, daß ein medizinischer Sachverständiger ein „fachmedizinisches“, also auf seinem Fachgebiet und kein allgemeinmedizinisches Gutachten erstellen soll) in Verbindung mit dem Prozeßstoff erhellt, daß ein orthopädisch-unfallchirurgisches Gutachten erstattet werden sollte (so hat es auch der hier abgelehnte Sachverständige verstanden, wie sich aus S. 66 des Gutachtens = Bl. 307 d. A. ergibt) sowie Zusatzgutachten auf den Gebieten der

– Radiologie,

– Neurologie und

– Psychiatrie (wegen der behaupteten posttraumatischen Belastungsstörung, der reaktiven traumatisch bedingten mittelschweren depressiven Episode und dem Burn-out-Syndrom, vgl. Klageschrift S. 14 = Bl. 14 d. A. und Klageerwiderung S. 5 = Bl. 78 d.A.)

erholt werden sollten.

bb) Der Sachverständige Dr. med. C S. ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie und war 2007–2013 „Leitender Arzt Sektion Wirbelsäulenchirurgie am Krankenhaus B. M.“ (vgl. http:// … /dr-med-c-s./). Natürlich gehört es beim Orthopäden zum beruflichen Arbeitsalltag, anhand von Röntgenbildern, Kernspin- oder Computertomographien Pathologien des Skelettapparates zu erkennen, zu klassifizieren und zu diagnostizieren (BGH VersR 2011, 1384; 2012, 1133). Nicht zu seinem Fachgebiet gehört – anders als beim Facharzt für Neurochirurgie (vgl. zu dessen Kompetenz Senat r+s 2006, 474) – die Auswertung neuroradiologischer Befunde. Erst Recht fallen neurologische und psychiatrische Fragen nicht in sein durch die Facharztzulassung (vgl. zu deren Bedeutung BGH NJW-RR 2011, 649; Senat, Urt. v. 15.4.2011 – 10 U 5655/10 [juris, dort Rz. 28]; SP 2012, 111) definiertes Fachgebiet.

Gleichwohl hat der Sachverständige, was der Beschwerdeführer in seinem Ablehnungsgesuch zutreffend rügt, zum einen die oben aufgeführten Zusatzgutachten nicht erholt und zum anderen unter Auswertung der vorgerichtlichen Arztbriefe und Gutachten (auch der neurologischen und psychiatrischen, vgl. GA S. 65 = Bl. 306 d. A. [Neurologie] und S. 66 = Bl. 307 d. A. [Psychiatrie]) sein Gutachten mit einer Beurteilung der MdE und der MdH (vgl. GA S. 308 = Bl. 308 d. A.) abgeschlossen. Daran ändert auch sein Hinweis nichts, die auf psychologisch-psychiatrischen Gebiet beklagten Beschwerden müßten „gegebenenfalls“ einer gesonderten Prüfung zugeführt werden – richtigerweise hätte er dann die Beantwortung der Fragen nach MdE und MdH zurückstellen müssen.

Beides begründet bereits die Besorgnis der Befangenheit, so daß auf die zahlreichen anderen Einwände des Beschwerdeführers gegen das von dem hier abgelehnten Sachverständigen erstellten Gutachten nicht eingegangen werden muß:

– Ein Sachverständiger muß nach § 407 a I ZPO seine fachliche Kompetenz unverzüglich prüfen und ggf. das Gericht unterrichten. Die Pflicht besteht natürlich auch während der Gutachtenerstattung weiter. Gerade die hier zutreffend erfolgte Ermächtigung zur Einholung von Zusatzgutachten (vgl. auch § 407 a I 1 ZPO) muß für den Sachverständigen selbstverständlicher Anlaß sein, seine Kompetenzen nicht zu überschreiten. Im übrigen hat der Sachverständige – mangels fachlicher Zuständigkeit nachvollziehbar – hinsichtlich der neurologischen und psychiatrischen Fragen keine eigene Untersuchung vorgenommen, sondern sich auf ein Aktenlagegutachten beschränkt, was nicht in Auftrag gegeben worden war und aus rechtlicher Sicht grundsätzlich auch nicht ausreicht (BGH NJW-RR 2008, 1380; Senat SP 2012, 111; ebenso aus medizinischer Sicht, vgl. etwa Brauer/Dick/Walther ZWR 117 [2008] 514 [516] m. w. N.).

– Ein Sachverständiger, der den Beweisbeschluß umformuliert (vgl. OLG Köln NJW-RR 1987, 1198; OLG Bamberg MedR 1993, 351) oder über ihn hinausgeht (vgl. OLG Celle NJW-RR 2003, 135; OLG Saarbrücken NJW-RR 2008, 187; OLG Rostock BauR 2011, 569) der sonst von ihm abweicht (vgl. PG/Katzenmeier, ZPO, 4. Aufl. 2012, § 406 Rz. 17; Thomas/Putzo/Reichold § 406 Rz. 2), kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Hier hat der Sachverständige grundlos einen Teil des Beweisbeschlusses überhaupt nicht ausgeführt (was das Erstgericht ausweislich des Beschlusses vom 19.08.2013, Bl. 309/311 d. A. erstaunlicherweise zu keiner eigenen Reaktion in Form einer unverzüglichen Veranlassung einer Ergänzung des Gutachtens von Amts wegen vor Hinausgabe des Gutachtens an die Parteien [vgl. dazu etwa Balzer, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung im Zivilprozess, 2. Aufl. Berlin 2005, Rz. 222] veranlaßt hat, sondern zur Grundlage der weiteren Verfahrensführung gemacht, wie sich aus dem Beschluß vom 28.11.2013, Bl. 359/360 d. A. ergibt, wo die Einwände des Klägers zum Anlaß für eine kostenpflichtige schriftliche Gutachtensergänzung gemacht wurden).

4. Für das weitere Verfahren wird vorsorglich auf § 8 a II JVEG in der seit 01.08.2013 geltenden Fassung sowie § 21 I 1 GKG (vgl. dazu Senat, Beschl. v. 17.09.2008 – 10 U 2272/08; Urt. v. 19.03.2010 – 10 U 3870/09 [juris, dort Rz. 93] für Gutachten eines wegen Befangenheit ausgeschlossenen Sachverständigen) hingewiesen.

II. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt, da die Kosten einer erfolgreichen Ablehnung eines Sachverständigen solche der Hauptsache und von dem letztlich Unterliegenden zu tragen sind; eine Kostenentscheidung ergeht in diesem Fall nicht (OLG Frankfurt a. M. MDR 2007, 1399; Sturm MDR 2007, 382 [383 unter III] alle für Richterablehnung).

III. Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nach § 574 II ZPO nicht gegeben sind. Mit Rücksicht darauf, daß die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.