OLG Hamm, Urteil vom 10. November 2011 zum Aktenzeichen 6 U 138/11

Die Kosten eines privaten Sachverständigengutachtens nehmen an der für das Unfallgeschehen gefundenen Haftungsquote teil.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 23.05.2011 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.

Die Kosten des zweiten Rechtszuges trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Abgekürzt gem. §§ 540 Abs. 2, 313a ZPO.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Dem Kläger stehen die anlässlich des Verkehrsunfalls vom 18.09.2009 geltend gemachten Ansprüche über den vom Landgericht bereits zuerkannten Betrag hinaus nicht zu.

1. Der Kläger hat über den zuerkannten Betrag keinen Anspruch aus §§ 7, 17, 18 StVG i.V.m. § 115 VVG gegen die Beklagten. Zu Recht hat das Landgericht dem Kläger im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG nur nach einer Quote von 50% zuerkannt.

a) Da nicht bewiesen werden konnte, dass der Beklagte zu 1) sich mit seinem Fahrzeug auch nur teilweise auf der vorfahrtsberechtigten Straße befand, auf der er der das Fahrzeug des Klägers führenden Zeugin F die Vorfahrt hätte gewähren müssen, auch wenn sich diese auf der Gegenfahrbahn in einem Überholvorgang befand, verbleibt es – da auch ansonsten kein die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs erhöhender Umstand ersichtlich ist, bei der vom Landgericht gefundenen Quote. Der Sachverständige konnte den genauen Kollisionsort nicht feststellen.

b) Die Kollisionsgeschwindigkeit des zum Zeitpunkt der Kollision in Vorwärtsbewegung befindlichen Fahrzeugs des Beklagten zu 1) lag bei etwa 5 km/h. Dies ist kein Anlass, eine Erhöhung der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs vorzunehmen. Er durfte ohne weiteres sein Fahrzeug bis zur Haltelinie vorwärts bewegen und tat dies in sehr maßvoller Geschwindigkeit.

c) Dass der Beklagte zu 1) die Zeugin in ihrer Abbiegeabsicht schon seit dem Ausscheren erkannt haben soll, ist – anders als der Kläger meint – dem erstinstanzlichen Vortrag nicht zu entnehmen. Die in Bezug genommene Passage stellt eine Unfallschilderung aus anwaltlicher Sicht des Beklagtenanwalts dar, die auf unterschiedlichen Erkenntnisquellen, u.a. auch der Angaben der Zeugin F am Unfallort, beruht und ist keine Darstellung der Wahrnehmung des Beklagten zu 1). Auch ist nicht ersichtlich, woraus der Beklagte zu 1) eine Linksabbiegeabsicht der Zeugin entnehmen sollte. Selbst wenn diese – was so erstinstanzlich ausdrücklich auch nicht vorgetragen wurde – links geblinkt haben sollte, so bliebe unklar, ob es sich um ein Linksblinken wegen des Vorbeifahrt- bzw. Überholvorgangs handelte (vgl. §§ 5 f. StVO) oder um ein solches wegen eines beabsichtigten Abbiegens.

Jedenfalls kann man es dem Beklagten zu 1) nicht vorwerfen, dass er bis zur Haltelinie vorgefahren ist. Auch eine „sichere Erkenntnis“ des Beklagten zu 1), dass bei seinem Fahrverhalten ein berührungsloses Abbiegen der Zeugin nicht möglich sein würde, ist aus dem erstinstanzlichen Vortrag nicht ersichtlich. Bis zur Haltelinie durfte er ohne Weiteres vorfahren. Kommt dann die Zeugin mit dem von ihr geführten Fahrzeug nicht um die Kurve, so war es an ihr, in einem entsprechend weiteren Bogen auszuholen oder anzuhalten und sich mit dem Beklagten zu 1) zu einigen, wie man die Situation regelt.

2. Auch der Höhe nach hat das Landgericht den dem Kläger zuzuerkennenden Betrag zutreffend, bzw. jedenfalls nicht zu seinen Lasten unrichtig, ermittelt.

Anders als der Kläger meint, waren die Sachverständigenkosten nicht etwa in Gänze, sondern nur entsprechend der Quote zuzusprechen. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. z. B: Senat NJW-RR 2011, 464, 465; vgl. auch: OLG Hamm Urt. v. 05.03.1997 – 13 U 185/97 = BeckRS 1997, 02985), von der abzuweichen der Senat auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Klägers, der sich auf die Entscheidung des OLG Rostock NJW 2011, 1973, 1974 beruft, keinen Anlass sieht. Das OLG Rostock (vgl. inzwischen auch OLG Frankfurt NJW-Spezial 2011, 681) begründet seine Ansicht damit, dass im Gegensatz zu den Schadenspositionen, die im Falle der Mithaftung des Geschädigten quotiert werden müssten, wie etwa Reparaturkosten, die Sachverständigenkosten überhaupt nicht angefallen wären, wenn der Geschädigte den Unfall vollständig selbst verursacht hätte. Es handele sich lediglich um Kosten der Rechtsverfolgung, die ausschließlich dazu dienten, den jeweiligen Anteil des dem Geschädigten entstandenen Sachschadens vom Schädiger ersetzt zu bekommen.

Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Gerade aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofes in NJW 2007, 1450, auf die sich das Oberlandesgericht Rostock bezieht, wird deutlich, dass die Sachverständigenkosten zwar einerseits Kosten der Rechtsverfolgung, andererseits aber auch Herstellungsaufwand sind. Entsprechend nehmen sie auch an der Quotierung nach § 17 Abs. 1 StVG teil (OLG Düsseldorf Urt. v. 15.03.2011 – 1 U 152/10 = BeckRS 2011, 07498). In § 17 Abs. 1 StVG ist eine Ausnahme vom Grundsatz der Totalreparation statuiert mit der Folge, dass auch der Anspruch auf Ersatz der Sachverständigenkosten nur ungeschmälert fortbestehen kann, wenn sich „aus den Umständen“, insbesondere nach dem Verhältnis der beiderseitigen Verursachungsanteile ein solches Ergebnis rechtfertigen lässt. Die Kosten des Sachverständigengutachtens sind durch den Unfall verursacht, so dass bei Mitverantwortung des Geschädigten dieser auch für die Folgen mitverantwortlich ist, denn ohne die Unfallbeteiligung des Geschädigten wäre es auch zur Beauftragung des Sachverständigen nicht gekommen. Das Gutachten dient auch nicht allein dem Nachweis des vom Schädiger zu tragenden Schadensanteils, sondern zwangsläufig auch immer dem Interesse des Geschädigten, weil es ihm Gewissheit über das Ausmaß des Schadens und die von ihm zu tragenden Kosten und den Reparaturweg verschafft (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Celle Urt. v. 24.08.2011 – 14 U 47/11 – juris). Auch die Differenztheorie kann eine abweichende Behandlung der Sachverständigenkosten nicht rechtfertigen. Die Theorie vermag zu begründen, warum die Sachverständigenkosten einen Schaden darstellen, sie sagt aber nichts darüber aus, wie dieser Schaden zu verteilen ist. Dies ergibt sich erst aus den §§ 7, 17 StVG. Diese lassen eine Trennung zwischen (unmittelbarem) Schaden einerseits und Rechtsverfolgungskosten andererseits nicht zu (OLG Celle a.a.O.; OLG Rostock a.a.O.).

Die Sachverständigenkosten sind daher nicht vergleichbar den Kosten für eine vorgerichtliche Rechtsverfolgung. Ihr Charakter entspricht eher z. B. dem des Rückstufungsschadens in der Kaskoversicherung, der auch unabhängig davon eintritt, ob der geltend gemachte Schaden ganz oder nur zum Teil vom Geschädigten selbst mitverursacht worden ist. Gleichwohl nimmt der Rückstufungsschaden an der Haftungsquote teil (BGH NJW 2006, 2397).

II. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Zulassung der Revision ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§ 540 Abs. 2 ZPO). Die oben zitierten Entscheidungen des OLG Rostock und des OLG Frankfurt sind bisher vereinzelt geblieben. Nach der ganz überwiegenden Rechtsprechung der Obergerichte nehmen die Sachverständigenkosten an der Haftungsquote teil (vgl. nur aus jüngerer Zeit neben den oben zitierten Entscheidungen des OLG Celle, des OLG Hamm und des OLG Düsseldorf auch: OLG Dresden Urt. v. 30.06.2010 – 7 U 313/10; OLG München Urt. v. 09.04.2010 – 10 U 1543/09 -juris; OLG Stuttgart Urt. v. 21.04.2010 – 3 U 218/09 – juris). Letztlich ist die Frage auch schon aufgrund der Vorgaben zum Schadenscharakter der Kosten für ein Sachverständigengutachten in der höchstrichterlichen Rechtsprechung (im Sinne der Ansicht des Senats) geklärt (vgl. dazu oben).