Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 28. Oktober 2013 – 8 A 562/13 zur Fahrtenbuchauflage bei Verschuldenunabhängigkeit der erfolgslosen Ermittlung des Fahrers:

Leitsatz

1. Die Auferlegung eines Fahrtenbuches nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO setzt nicht voraus, dass der Fahrzeughalter die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zu vertreten hat. Die Führung eines Fahrtenbuchs kann daher auch dann angeordnet werden, wenn der Fahrzeughalter an der Feststellung mitgewirkt hat, die gebotenen Ermittlungsbemühungen der Behörde jedoch gleichwohl erfolglos geblieben sind.

2. Wird die von der Rechtsprechung entwickelte Zweiwochenfrist für die Benachrichtigung des Fahrzeughalters nicht eingehalten, so ist dies unschädlich, wenn feststeht, dass die Rechtsverteidigung des Fahrzeughalters durch dessen verzögerte Anhörung nicht beeinträchtigt worden ist.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 17. Januar 2013 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das zweitinstanzliche Verfahren auf 2.482,63 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO innerhalb der Begründungsfrist dargelegt ist und vorliegt. Das ist hier nicht der Fall.

Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat seine ablehnende Entscheidung damit begründet, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anordnung der angefochtenen Fahrtenbuchauflage erfüllt sind und Ermessensfehler nicht vorliegen. Die Antragsbegründung, auf deren Prüfung der Senat im Zulassungsverfahren beschränkt ist, begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieser Annahme.

1. a) Gemäß § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO kann die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Diese Voraussetzung für die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs ist erfüllt, wenn die Bußgeldbehörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter des Verkehrsverstoßes zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Ob die Aufklärung angemessen war, richtet sich danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Oktober 1987 – 7 B 162.87 -, NJW 1988, 1104 = juris Rn. 4.

Zu einem angemessenen Ermittlungsaufwand gehört grundsätzlich die unverzügliche, d. h. regelmäßig innerhalb von zwei Wochen erfolgende Benachrichtigung des Fahrzeughalters von der mit seinem Kraftfahrzeug begangenen Zuwiderhandlung. Dies ist deshalb geboten, damit der Halter die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 1978 – VII C 77.74 -, DÖV 1979, 408 = juris Rn. 18, sowie Beschluss vom 25. Juni 1987 – 7 B 139.87 -, DAR 1987, 393 = juris Rn. 2.

Die vom Bundesverwaltungsgericht in dem vorzitierten Urteil vom 13. Oktober 1978 entwickelte Zweiwochenfrist für die Benachrichtigung des Fahrzeughalters gilt aber nur „regelmäßig“; sie ist kein formales Tatbestandskriterium des § 31a Abs. 1 StVZO und auch keine starre Grenze. Jene Fristbestimmung beruht vielmehr auf dem Erfahrungssatz, dass eine Person Vorgänge des persönlichen Lebensbereichs aus den letzten 14 Tagen im Regelfall wird erinnern oder jedenfalls noch rekonstruieren können. Deshalb darf angenommen werden, dass ein konkreter Anstoß innerhalb dieser Frist ausreicht, um zu verhindern, dass die Erinnerung entscheidend verblasst oder wesentliche, den Vorgang betreffende Unterlagen vernichtet werden, so dass es dem Fahrzeughalter in den sich an den Verkehrsverstoß anschließenden Verfahren möglich bleibt, seine Verteidigung auf dieser Grundlage einzurichten. Die Zweiwochenfrist gilt daher für jene vom Regelfall abweichenden Gestaltungen nicht, in denen – bei typisierender Betrachtung – auch eine spätere Anhörung zur effektiven Rechtsverteidigung genügt. Ihre Nichteinhaltung ist außerdem – wie das Verwaltungsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat – unschädlich, wenn feststeht, dass die Rechtsverteidigung des Fahrzeughalters durch dessen verzögerte Anhörung nicht beeinträchtigt worden ist.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 31. März 1995 – 25 A 2798/93 -, NWVBl. 1995, 388 = NJW 1995, 3335 = juris Rn. 14 ff.

Verzögerungen bei der Anhörung des Fahrzeughalters stehen – anders gewendet – der Anordnung einer Fahrtenbuchauflage vor allem dann nicht entgegen, wenn feststeht, dass sie für die Erfolglosigkeit der Ermittlung des Fahrers nicht ursächlich geworden sind.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15. November 2008 – 8 A 2169/08 -, juris Rn. 10, vom 7. April 2011 – 8 B 306/11 -, NZV 2011, 470 = juris Rn. 8 ff., und vom 9. Juni 2011 – 8 B 520/11 -, NZV 2012, 148 = juris Rn. 8 ff.

Darauf, ob der Fahrzeughalter seine Mitwirkungspflicht erfüllt hat, indem er alle ihm möglichen Angaben gemacht hat, oder ob ihn ein Verschulden an der Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers trifft, kommt es hingegen nicht an. Der Fahrtenbuchauflage kommt eine präventive und keine strafende Funktion zu. Sie stellt eine der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs dienende Maßnahme der Gefahrenabwehr dar, mit der dafür Sorge getragen werden soll, dass künftige Feststellungen eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ohne Schwierigkeiten möglich sind.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1995 – 11 C 12.94 – , BVerwGE 98, 227 = juris Rn. 9; OVG NRW, Urteil vom 29. April 1999 – 8 A 699/97 -, DAR 1999, 375 = juris Rn. 19.

Es entspricht dem Gesetzeswortlaut und -zweck des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO, die Auferlegung eines Fahrtenbuches nicht davon abhängig zu machen, ob der Fahrzeughalter die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zu vertreten hat. Die Führung eines Fahrtenbuchs kann daher auch dann angeordnet werden, wenn der Fahrzeughalter an der Feststellung mitgewirkt hat, die gebotenen Ermittlungsbemühungen der Behörde jedoch gleichwohl erfolglos geblieben sind.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 11. Oktober 2007 – 8 B 1042/07 -, VRS 113, Nr. 143 = juris Rn. 6 f., vom 24. Mai 2012 – 8 A 2492/11 -, Abdruck, S. 6, sowie vom 10. Dezember 2012 – 8 A 1673/12 – Abdruck, S. 6 f.; Dauer, in: Hentschel/König/ders., Straßenverkehrsrecht, 42. Auflage 2013, § 31a Rn. 4.

b) Gemessen an diesen Maßstäben ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Bußgeldbehörde im vorliegenden Fall alle angemessenen und zumutbaren Ermittlungsmaßnahmen ausgeschöpft hat, ohne im Ergebnis den Führer des Fahrzeugs feststellen zu können.

Soweit der Kläger rügt, dass er nicht innerhalb von zwei Wochen nach dem Verkehrsverstoß angehört worden sei, liegt kein entscheidungserhebliches Ermittlungsdefizit vor. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass vorliegend die geringfügige Überschreitung der Zweiwochenfrist um ein oder zwei Tage für die unterbliebene Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers ursächlich gewesen sein könnte. Denn der Kläger hat im Rahmen seiner Anhörung im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht geltend gemacht, dass es ihm aufgrund fehlenden Erinnerungsvermögens nicht möglich sei, die Person zu benennen, die zum Tatzeitpunkt das Fahrzeug geführt habe. Er hat sich vielmehr – sowohl in seinem Antwortschreiben vom 22. Januar 2012 als auch in seiner nachfolgenden Stellungnahme vom 29. April 2012 – ausschließlich darauf berufen, dass er wegen der schlechten Qualität des Beweisfotos nicht habe erkennen können, welcher seiner beiden Söhne das Fahrzeug geführt habe. Die beiden Söhne – eineiige Zwillingsbrüder – hätten ihrerseits angegeben, gemeinsam im Auto gesessen zu haben, aber nicht sagen zu können, wer gefahren sei. Dass dem Kläger bei einer Anhörung innerhalb von zwei Wochen eine Identifizierung des Fahrers möglich gewesen wäre, erscheint danach ausgeschlossen; denn auch innerhalb der Zweiwochenfrist hätte der Kläger den auf dem Tatfoto abgelichteten Zwilling mangels hinreichender Unterscheidbarkeit nicht benennen können.

Im Übrigen ist die Bußgeldbehörde auf der Grundlage der Angaben des Klägers einer möglichen Täterschaft einer seiner beiden Söhne nachgegangen. Beide Söhne wurden gesondert mit Schreiben vom 26. Januar 2012 angehört und es wurde ein Abgleich der beigezogenen Passbilder mit dem Beweisfoto durchgeführt. Da beide Söhne des Klägers eine Tatbegehung nicht eingestanden haben und aufgrund der Ähnlichkeit der beiden Söhne auch auf der Grundlage des Lichtbildabgleichs eine eindeutige Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers nicht möglich gewesen ist, blieben die Ermittlungen ohne Erfolg. Dass die Bußgeldbehörde bei dieser Sachlage noch weitergehende Ermittlungsmaßnahmen hätte ergreifen müssen, ist weder vom Kläger dargelegt worden noch sonst ersichtlich.

2. Ebenfalls ohne Erfolg bleiben die Einwände des Klägers gegen die Verhältnismäßigkeit der im Streit stehenden Fahrtenbuchauflage.

Dies gilt zunächst mit Blick auf die vom Kläger benannten Zeiträume. Zwischen der Begehung des mit einem Punkt zu bewertenden Verkehrsverstoßes (3. Januar 2012) und dem angefochtenen Bescheid (7. Mai 2012) liegen nicht mehr als gut 4 Monate. Dieser zeitliche Abstand hält sich im Rahmen des Üblichen. Inwiefern deshalb hier eine Unverhältnismäßigkeit der Fahrtenbuchauflage gegeben sein soll, legt der Kläger nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechenden Weise dar.

Auch der Umstand, dass seit der Tat eine längere Zeit verstrichen ist und es innerhalb dieses Zeitraums offenbar nicht zu weiteren Verkehrsverstößen mit dem auf den Kläger zugelassenen Fahrzeug gekommen ist, erlaubt nicht die Annahme, das Führen des Fahrtenbuchs sei funktionslos geworden. Es entspricht vielmehr gefestigter Rechtsprechung, dass allein durch Zeitablauf eine Fahrtenbuchauflage – auch wenn ihre sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO nicht angeordnet ist – nicht unverhältnismäßig wird.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Juli 1995 – 11 B 18.95 -, NJW 1995, 3402 = VD 1995, 259 = juris Rn. 3; OVG Lüneburg, Beschluss vom 23. August 2013 – 12 LA 156/12 -, juris Rn. 5; OVG Berlin, Beschluss vom 13. März 2003 – 8 S 330.02 -, NJW 2003, 2402 = juris Rn. 5; VG Braunschweig, Urteil vom 14. Juli 2005 – 6 A 156/05 -, VD 2005, 277 = juris Rn. 31; VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 23. Oktober 2006 – 12 G 3694/06 -, juris Rn. 7; VG Aachen, Urteile vom 22. April 2008 – 2 K 691/06 -, juris Rn. 35, und vom 23. Juni 2008 – 2 K 35/07 -, juris Rn. 34.

Hier sind keine Umstände dargetan oder sonst ersichtlich, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 3 GKG. Dabei legt der Senat in Anlehnung an Nr. 46.13 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit von Juli 2004 (DVBl. 2004, 1525 = NVwZ 2004, 1327) für jeden Monat der Fahrtenbuchauflage einen Betrag von 400,- Euro zugrunde. Hinzu kommt der Betrag der ebenfalls angefochtenen Kostenfestsetzung.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).